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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„O Carlo“, flüsterte die Kranke, „wenn du wüßtest, wie deine Worte mein Herz verwunden, wie dein schrecklicher Verdacht noch tiefer dringt als der Stahl des Mörders!“

„Nicht wahr, Täubchen“, schrie jener mit schrecklichem Lachen, „deine Amorosi sollten blind sein, da wäre gut mit ihnen spielen? Der Pariser muß doch ein wackerer Kerl sein, daß er endlich doch noch das fromme Täubchen fand!“

„Jetzt aber wird es mir doch zu bunt, Herr“, rief der Doktor und packte den Rasenden am Rock; „auf der Stelle marschier Er sich zu dem Zimmer hinaus, sonst werde ich die Hausleute rufen, daß sie Ihn expedieren.“

„Ich gehe schon, Erdenwurm, ich gehe“, schrie jener und stieß den Medizinalrat zurück, daß er ganz bequem in einen Fauteuil niedersaß; „ja, ich gehe, Giuseppa, um nimmer wiederzukehren. Lebe wohl oder stirb lieber, Unglückliche, verbirg deine Schmach unter der Erde. Aber jenseits verbirg deine Seele an einen Ort, wo ich dir nie begegnen möge; ich würde der Seligkeit fluchen, wenn ich sie mit dir teilte, weil du mich hier so schändlich um meine Liebe, um mein Leben betrogen.“ Er rief es, indem er noch etwas weniges mit den Noten agierte, aber sein wildes, rollendes Auge schmolz in Tränen, als er den letzten Blick auf die Geliebte warf, und schluchzend rannte er aus dem Zimmer.

„Ihm nach, halten Sie ihn auf“, rief die Sängerin, „führen Sie ihn zurück, es gilt meine Seligkeit!“

„Mit nichten, Wertgeschätzte“, entgegnete Doktor Lange, indem er sich aus seinem Lehnstuhl aufrichtete; „diese Szene darf nicht fortgespielt werden. Ich will Ihnen etwas Niederschlagendes aufschreiben, daß Sie alle Stunden zwei Eßlöffel voll einnehmen werden.“

Die Unglückliche war in ihre Kissen zurückgesunken, und ihre Kräfte waren erschöpft, sie verlor das Bewußtsein von neuem.

Der Doktor rief das Mädchen und suchte mit ihrer Hülfe die Kranke wieder ins Leben zurückzubringen, doch konnte er sich nicht enthalten, während er die Essenzen einflößte, das Mädchen tüchtig auszuschmälen. „Habe ich nicht befohlen, man solle niemand, gar niemand hereinlassen, und jetzt läßt man diesen Wahnsinnigen [345] zu, der Ihr braves Fräulein beinahe zum zweiten Male ums Leben brachte!“

„Ich habe gewiß sonst niemand hereingelassen“, sprach die Zofe weinend; „aber ihn konnte ich doch nicht abweisen; sie schickte mich ja heute schon dreimal in sein Haus, um ihn zu beschwören, nur auf einen kleinen Augenblick zu kommen; ich mußte ja sogar sagen, sie sterbe und wolle ihn vor ihrem Tode nur noch ein einziges Mal sehen!“

„So? Und wer ist denn dieser –“

Die Kranke schlug die Augen auf. Sie sah bald den Doktor, bald das Mädchen an, ihre Blicke irrten suchend durchs Zimmer. „Er ist fort, er ist auf ewig hin“, flüsterte sie; „ach, lieber Doktor, gehen Sie zu Bolnau!“

„Aber, mein Gott, was wollen Sie nur von meinem unglücklichen Kommerzienrat, er hat sich über Ihre Geschichte schon genug alteriert, daß er zu Bette liegen muß; was kann denn er Ihnen helfen?“

„Ach, ich habe mich versprochen“, erwiderte sie, zu dem fremden Kapellmeister sollen Sie gehen, er heißt Boloni und logiert im Hôtel de Portugal.“

„Ich erinnere mich, von ihm gehört zu haben“, sprach der Doktor, „aber was soll ich bei diesem tun?“

„Sagen Sie ihm, ich wollte ihm alles sagen, er solle nur noch einmal kommen – doch nein, ich kann es ihm nicht selbst sagen; Doktor, wenn Sie – ja, ich habe Vertrauen zu Ihnen, ich will Ihnen alles sagen, und dann sagen Sie es wieder dem Unglücklichen, nicht wahr?“

„Ich stehe zu Befehl; was ich zu Ihrer Beruhigung tun kann, werde ich mit Freuden tun.“

„Nun, so kommen Sie morgen frühe, ich kann heute nicht mehr so viel sprechen. Adieu, Herr Medizinalrat; doch noch ein Wort; Babette, gib dem Herrn Doktor sein Tuch!“

Das Mädchen schloß einen Schrank auf und reichte dem Doktor ein Tuch von gelber Seide, das einen starken, angenehmen Geruch im Zimmer verbreitete.

„Das Tuch gehört nicht mir“, sprach jener, „Sie irren sich, ich führe nur Schnupftücher von Leinwand.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 344–345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)