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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

man bewunderte mich, ich erröte heute noch, mit welchen Worten man mir dieses sagte. So ging es mehrere Tage herrlich und in Freuden. Ich lebte ungeniert, ich hätte zufrieden leben können, wenn ich mich nicht höchst unbehaglich, beinahe bänglich in diesem Hause, in dieser Gesellschaft gefühlt hätte; in meiner naiven Unschuld glaubte ich, so sei nun einmal die große Welt und man müsse sich in ihre Sitten fügen. Eines fiel mir jedoch auf, als ich an einem Abende zufällig an der Treppe vorbeiging, sah ich, daß die Herren, die uns besuchten, dem Portier Geld gaben, dafür blaue oder rote Karten bekamen und solche einem Bedienten vor dem Salon wieder übergaben. Ein junger Stutzer, der an mir vorüberkam, wies mir mit zärtlichen Blicken eine dieser roten Karten; ich weiß heute noch nicht, warum ich darüber errötete. Aber hören Sie weiter, was sich alsbald zutrug.

Sehen Sie, lieber Doktor, hier habe ich ein kleines unscheinbares Papier. Diesem bin ich meine Rettung schuldig. Ich fand es eines Morgens unter den Brötchen meines Frühstücks; ich weiß nicht, von welcher gütigen Hand es kam, aber möge der Himmel das Herz belohnen, das sich meiner erbarmte. Es lautet:

 ‚Mademoiselle!

Das Haus, welches Sie bewohnen, ist ein Freudenhaus; die Damen, die Sie um sich sehen, sind Freudenmädchen; sollten wir uns in Giuseppa geirrt haben? Wird sie einen kurzen Schimmer von Glück mit langer Reue erkaufen wollen?‘

Es war ein schreckliches Licht, es drohte mich völlig zu erblinden, denn es zerriß beinahe zu plötzlich meinen unschuldigen Kindersinn und den Traum von einer unbesorgten, glücklichen Lage. Was war zu tun? Ich hatte in meinem Leben noch nicht gelernt, Entschlüsse zu fassen. Der Mann, dem dieses Haus gehörte, war mir ein fürchterlicher Zauberer, der jeden meiner Gedanken lesen könne, der jetzt schon darum wissen müsse, was ich erfahren. Und dennoch wollte ich lieber sterben, als noch einen Augenblick hier verweilen. – Ich hatte ein Mädchen geradeüber von unserer Wohnung zuweilen italienisch sprechen hören; ich kannte sie nicht – aber kannte ich denn sonst jemand in dieser ungeheuren Stadt? diese vaterländischen Klänge erweckten [353] Zutrauen in mir; zu ihr wollte ich flüchten, ich wollte sie auf den Knieen anflehen, mich zu retten.

Es war sieben Uhr frühe; ich war meiner ländlichen Gewohnheit treu geblieben, stand immer frühe auf und pflegte gleich nachher zu frühstücken, und dies rettete mich. Um diese Zeit schliefen noch alle, sogar ein großer Teil der Domestiken. Nur der Portier war zu fürchten. Doch konnte er denken, daß jemand aus diesem Tempel der Herrlichkeit entfliehen werde? Ich wagte

es, ich warf mein schwarzes, unscheinbares Mäntelchen um mich, 

eilte die Treppe hinab; meine Kniee schwankten, als ich an der Loge des Portiers vorbeiging; er bemerkte mich nicht; drei Schritte, und ich war frei.

Rechts über die Straße hinüber wohnte das italienische Mädchen. Ich sprang über die breite Straße, ich pochte am Haus, ein Diener öffnete. Ich fragte nach der Signora mit dem schwarzen Lockenköpfchen, die italienisch spreche. Der Diener lachte und sagte, ich meine wohl die kleine Exzellenza Seraphine; ‚dieselbe, dieselbe‘, antwortete ich, ‚führen Sie mich geschwind zu ihr‘. Er schien anfangs Bedenken zu tragen, weil es noch frühe am Tag sei, doch meine Bitten überredeten ihn. Er führte mich in dem zweiten Stock in ein Zimmer, hieß mich warten und rief dann eine Zofe, der Exzellenza mich zu melden. Ich hatte mir gedacht, das hübsche italienische Mädchen werde meines Standes sein; ich schämte mich, einer Höhern mich zu entdecken; aber man ließ mir keine Zeit, mich zu besinnen; die Zofe erschien, mich vor das Bett ihrer Gebieterin zu führen. Ja, sie war es, es war die schöne junge Dame, die ich hatte italienisch sprechen hören. Ich stürzte vor ihr nieder und flehte sie um ihren Schutz an; ich mußte ihr meine ganze Geschichte erzählen. Sie schien gerührt und versprach mich zu retten. Sie ließ den Diener, der mich heraufgeführt hat, kommen und legte ihm das strengste Stillschweigen auf; dann wies sie mir ein kleines Stübchen an, dessen Fenster in den Hof gingen, gab mir zu arbeiten und zu essen, und so lebte ich mehrere Tage in Freude über meine Rettung, in Angst über meine Zukunft.

Es war das Haus des Gesandten eines kleinen deutschen Hofes, in welches ich aufgenommen war. Die Exzellenza war

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 352–353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_177.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)