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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

seine Nichte, eine geborne Italienerin, die bei ihm in Paris erzogen worden war. Sie war ein gütiges, liebenswürdiges Geschöpf, dessen Wohltaten ich nie vergessen werde. Sie kam alle Tage zu mir und tröstete mich; sie sagte mir, daß der Gesandte durch seine Bedienten in dem Hause des argen Mannes nachgeforscht habe. Man seie sehr in Bestürzung, suche es aber zu verbergen. Die Diener drüben flüstern geheimnisvoll, es habe sich eine Mamsell aus einem Fenster des zweiten Stocks in den Kanal der Seine gestürzt. Sonderbare Fügung! Mein Zimmer war ein Eckzimmer und sah mit der einen Seite nach der Straße, die andere ging schroff hinab in einen Kanal. Ich erinnerte mich, an jenem Morgen ein Fenster dieser Seite geöffnet zu haben; wahrscheinlich war es offen geblieben, und so mochte man sich mein Verschwinden erklären. Signora Seraphina sollte um diese Zeit nach Italien zurückkehren, sie war so gütig, mich mitzunehmen. Ja, sie tat noch mehr für mich; sie bewog ihre Eltern in Piacenza, daß sie mich wie ihr Kind in ihr Haus aufnahmen; sie ließ mein Talent ausbilden, ihr habe ich Freiheit, Leben, Kunst, o! vielleicht mehr, als ich weiß, zu danken. In Piacenza lernte ich den Kapellmeister Boloni, der übrigens kein Italiener ist, kennen; er schien mich zu lieben, aber er sagte es mir nicht. Ich nahm bald nachher den Ruf an das hiesige Theater an. Man schätzte mich hier, man hat mir sonst wohlgewollt, mein Leben und mein Ruf war unsträflich, ach, ich habe in dieser langen Zeit nie einen Mann bei mir gesehen, als – ich kann Ihnen dieses schöne Verhältnis ohne Erröten gestehen – als Boloni, der mir bald hieher nachgereist war. Sie haben mein Leben jetzt gehört, sagen Sie mir, habe ich etwas getan, um so bittere Strafe zu verdienen? Habe ich so Entsetzliches verschuldet?“


Als die Sängerin geendet hatte, ergriff der Medizinalrat lebhaft ihre Hand. „Ich wünsche mir Glück“, sagte er, „den wenigen Menschen, die Sie auf ihrem Lebensweg gefunden haben, beitreten zu können. Meine Kräfte sind zwar zu schwach, um für Sie tun zu können, was die treffliche kleine Exzellenza für Sie tat, aber ich will suchen, Ihr trauriges Geschick entwirren [355] zu helfen, ich will den Brausewind, Ihren Freund, zu versöhnen suchen. Aber sagen Sie mir nur, was ist denn Herr Boloni eigentlich für ein Landsmann?“ – „Da fragen Sie mich zu viel“, erwiderte sie ausweichend; „ich weiß nur, daß er ein Deutscher von Geburt ist und, wenn ich nicht irre, wegen Familienverhältnissen vor mehreren Jahren sein Vaterland verließ. Er hielt sich in England und Italien auf und kam vor etwa drei Vierteljahren hieher.“

„So, so? aber warum haben Sie ihm das, was Sie mir erzählen, nicht schon früher selbst gesagt?“

Giuseppa errötete bei dieser Frage; sie schlug die Augen nieder und antwortete: „Sie sind mein Arzt, mein väterlicher Freund, es ist mir, wenn ich zu Ihnen spreche, als spräche ein Kind zu seinem Vater. – Aber konnte ich denn dem jungen Mann von diesen Dingen erzählen? Und ich kenne ja seine schreckliche Eifersucht, seinen leichtgereizten Argwohn, ich konnte es nie über mich vermögen, ihm zu sagen, welchen Schlingen ich entflohen war.“

„Ich ehre, ich bewundere Ihr Gefühl; Sie sind ein gutes Kind; glauben Sie mir, es tut einem alten Manne wohl, auf solche dezente Gefühle aus der alten Zeit zu stoßen; denn heutzutage gilt es für guten Ton, sich über dergleichen wegzusetzen. Aber noch haben Sie mir nicht alles erzählt; der Abend auf der Redoute, jene schreckliche Nacht? –“

„Es ist wahr, ich muß Ihnen noch weiter sagen. Ich habe, so oft ich im stillen über meine Rettung nachdachte, die Vorsehung gepriesen, daß man in jenem Hause glaubte, ich habe mich selbst getötet; denn es war mir nur zu gewiß, daß, wenn jener Schreckliche nur die entfernte Ahnung von meinem Leben habe, er kommen werde, sein Opfer zurückzuholen oder es zu verderben; denn er mochte manches Fünffrankenstück für mich bezahlt haben. Deswegen habe ich, solange ich in Piacenza war, manches schöne Anerbieten fürs Theater abgelehnt, weil ich mich scheute, öffentlich aufzutreten. Als ich aber etwa anderthalb Jahre dort war, brachte mir eines Morgens Seraphina ein Pariser Zeitungsblatt, worin der Tod des Chevalier de Planto angezeigt war.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 354–355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)