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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der Pascha von Janina stand stumm und regungslos, er schien jeden Gedanken an Verteidigung aufzugeben; willenlos ließ er sich von den vier handfesten Dominos hinwegführen.

Beinahe in demselben Augenblicke wurde der Doktor heftig an seinem schwarzen Mantel gezogen; er sah sich um, jener kleine verwachsene Lohnlakai aus dem Hôtel de Portugal stand vor ihm, bleich und von Schrecken entstellt: „Um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Medizinalrat, kommen Sie doch gefälligst mit mir auf Nr. 53, eben will der Teufel den französischen Herrn holen.“

„Was schwatzt Er da?“ sagte der Doktor unwillig und wollte ihn auf die Seite schieben, um dem Gefangenen auf die Polizeidirektion zu folgen; „was geht es mich an, wenn ihn der Satan zu sich nimmt?“

„Aber ich bitte Sie“, rief der Kleine beinahe heulend, „er kann vielleicht doch gerettet werden; Hochdieselben sind ja Stadtphysikus allhier und verpflichtet, zu den Fremden in den Hotellern zu kommen.“

Der Medizinalrat unterdrückte einen Fluch, der ihm auf der Zunge schwebte; er sah, daß er diesem unangenehmen Gang nicht ausweichen könne, er winkte den Kapellmeister Boloni herbei, übergab ihm die Sängerin und eilte mit dem kleinen Menschen nach dem Hôtel de Portugal.


Es war still und öde in diesem großen Gasthof, Mitternacht war beinahe schon vorüber, die Lampen in den Gängen und Treppen brannten düster und trübe; es war dem Medizinalrat unheimlich zu Mut, als er zu dem einsamen Kranken hinanstieg. Der Lakai schloß die Türe auf, der Doktor trat ein, wäre aber beinahe wieder zurückgesunken. Denn ein Wesen, das seit einigen Tagen unablässig seine Phantasie im Wachen und im Schlafe beschäftigt hatte, saß hier wirklich und verkörpert im Bette. Es war ein großer, hagerer, ältlicher Mann, er hatte eine spitzig aufstehende, wollene Schlafmütze tief in die Stirne gezogen, seine enge Brust, seine langen dünnen Arme waren mit Flanell überkleidet, unter der Mütze ragte eine große, spitzige [371] Nase aus einem mageren, braungelben Gesicht hervor, das man schon tot und erstorben geglaubt hätte, wären es nicht ein Paar graue, stechende Augen gewesen, die ihm noch etwas Leben und einen schrecklichen, grauenerregenden Ausdruck gaben. Seine langen dünnen Finger, die mit den hageren Gelenken weit aus den Ärmeln hervorragten, hatte er zusammengekrümmt, er kratzte mit heiserem, wahnsinnigem Lachen auf der Bettdecke.

„Schaut! er kratzt sich schon sein Grab!“ flüsterte der kleine Mensch und weckte damit den Doktor aus seinem Hinstarren auf den Kranken. So, gerade so hatte sich dieser den Chevalier de Planto gedacht, dieses tückische graue Auge, diese unheilverkündenden Züge, diese dürre, gespensterhafte Figur – es war hier alles, was die Sängerin von jenem schrecklichen Manne gesagt hatte. Doch er besann sich, kam er denn nicht jetzt eben von der Verhaftung jenes Chevaliers? Konnte nicht ein anderer Mann auch graue Augen haben? War es zu verwundern, daß ein Kranker abgefallen und bleich war? Der Doktor lachte sich selbst aus, fuhr mit der Hand über die Stirne, als wolle er diese Gedanken hinwegwischen, und trat an das Bett. – Doch, noch nie hatte er in so langen Jahren am Bette eines Kranken Grauen und Furcht gefühlt – hier, es war ihm unerklärlich, hier befiel ihn eine Beengung, ein Schauer, den er umsonst abzuschütteln suchte, und er fuhr unwillkürlich zurück, als er feuchte, kalte Hand in der seinigen fühlte, als er lange umsonst nach einem Puls suchte.

„Der dumme Kerl“, rief der Kranke mit heiserer Stimme, indem er bald Französisch, bald schlechtes Italienisch und gebrochenes Deutsch untereinander warf, „der dumme kleine Kerl hat mir, glaube ich, einen Doktor gebracht. Sie werden mir verzeihen. Ich habe nie viel von Ihrer Kunst gehalten. Das einzige, was mich heilen kann, sind die Bäder von Genua; ich habe der bête schon befohlen, daß er mir Postpferde bestellt; ich werde heute nacht noch abfahren.“

„Freilich wird er abfahren“, murmelte der kleine Mensch; „aber mit sechs kohlschwarzen Rappen; und nicht nach Genua, wo der selige Fiesko ertrunken, sondern dahin, wo Heulen und Zähnklappern.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 370–371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_186.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)