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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

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1. Ein Poet.

„Guten Morgen, Neffe der Musen“, rief mit munterem Ton der junge Rempen einem Bekannten zu, dem er am Markt begegnete. „Ihre Augen leuchten, Ihre Mienen drücken eine gewisse Behaglichkeit aus, und ich wollte wetten, Sie haben heute schon gedichtet.“

„Wie man will, bester Stallmeister“, entgegnete jener, „in Reimen zwar nicht, aber an meinem neuen Roman habe ich ein paar Kapitel geschrieben.“

„Wie, an einem neuen Roman? Das ist göttlich, auf Ehre! aber bitte Sie, warum so geheim mit solchen Dingen, so verschlossen gegen die nächsten Bekannte und Freunde? Sonst ließen Sie doch hin und wieder ein Wörtchen fallen über Anordnung und Charaktere, lasen mir und andern einige Strophen; wie kömmt es denn, daß dies alles nun vorüber ist?“

„War es euch denn wirklich interessant?“ fragte der Dichter nicht ohne wohlgefälliges Lächeln. „Ich muß gestehen, mir selbst kommt, wenn ich etwas niedergeschrieben habe, alles so leer, so gemein, so langweilig vor, daß ich mich ennuyierte, wenn ich es nur in den Revisionsbogen wieder durchlas, da dachte ich denn, es könnte euch auch so gehen –“

„Uns? Gewiß, es machte uns immer Vergnügen!“

„Gut, lassen Sie uns dort bei dem Italiener eintreten und etwas trinken! Dabei will ich Ihnen den Plan meines neuen –“

„Wie!“ rief der Freund des Dichters lachend. „So frühe am Tage schon in die Restauration? Sind wir denn Leute aus einer neumodischen Novelle, daß wir gleich anfangs, des Tages nämlich, in einem Wirtshaus sitzen müssen, als ob es außer der Kirche und der Weinstube kein öffentliches Leben mehr geben könnte!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 380–381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)