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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ehrerbietig küssen mußte, um sich bemerklich zu machen. Elisens Wangen glühten, als sie ihn erblickte, und die Tante rief staunend: „Wie gerufen, Julius! Ich sprach soeben mit dem Fräulein von dir, du kannst dir etwas darauf einbilden, so gut wird es dir nicht alle Tage.“

„Und was war der Inhalt ihres Gespräches, wenn man fragen darf?“

„Deine Klagen von letzthin“, erwiderte die Tante lachend. „Dein Kummer, daß dich das Fräulein mitten in der Rede stehen gelassen habe, um mit irgend einem eminenten Dichter zu verkehren. Doch am besten machst du dies mit Fräulein Elise selbst aus“, setzte sie hinzu und ging weiter.

Elise schien sich wirklich einer kleinen Schuld bewußt, denn sie schlug die Augen nieder und zögerte zu sprechen; als aber Rempen bei seinem unmutigen Schweigen verharrte, sagte sie halb lächelnd, halb verlegen: „Ich gestehe, es war nicht artig, und sicher würde ich es mir gegen einen Fremden nicht erlaubt haben; aber daß Sie mir dergleichen übelnehmen, da Sie meine Weise doch kennen –“

„So stünde ich Ihnen denn näher als jene gelehrten und berühmten Herren?“ erwiderte er freudig bewegt. „Darf es sogar als ein Zeichen Ihres Zutrauens nehmen, wenn Sie mich so plötzlich verlassen, um zu jenen zu sprechen?“

„Sie sind zu schnell, Herr Stallmeister!“ sagte sie. „Ich meinte nur, weil sie meine Eltern kennen und ich viel zu Ihrer Tante komme, müsse man die Konvenienz nicht so genau berechnen. Und muß man denn im Leben alles so ängstlich berechnen?“

Sie bemerkte dies halb zerstreut, und es entging Rempen nicht, daß ihr Auge eine andere Richtung genommen habe, als zu ihrer Rede passe; er verfolgte diesen Blick und traf auf Palvi, der mit einem ältlichen Herrn sprach und zugleich seine Blicke brennend und düster auf Elisen heftete. Ein tiefer Atemzug stahl sich aus ihrer Brust, als sie ihre Augen, die weder zärtlich noch freudig glänzten, von ihm abwandte. Sie errötete, als sie bemerkte, wie ihr Nachbar die Richtung ihrer Blicke bemerkt habe, und halb verlegen, halb zerstreut flüsterte sie: „Wie kömmt doch er hieher zu Ihrem Onkel?“

[399] Der Stallmeister war so boshaft, sie zu fragen, wen sie denn meine.

„Den Referendär Palvi“, antwortete sie leichthin, als wollte sie ihre vorige Frage verbessern, „er ist vielleicht mit Ihrem Hause bekannt?“

„Ich kenn’ ihn nicht“, erwiderte der Stallmeister etwas ernst; „doch warum sollte er nicht hier sein? Kennen Sie ihn vielleicht? Man sagt, es sei ein Mann von schönen Talenten, der –“

„Wie freut es mich, dich wieder gesund zu sehen, Klotilde!“ rief seine Nachbarin und hüpfte auf ein Mädchen zu, das sechs Schritte von ihr entfernt stand; verblüfft, als hätte er einen dummen Streich begangen, stand der Stallmeister und sah ihr nach.

Man hatte indessen um Ruhe und Stille gebeten; ein Fräulein von kleiner Gestalt, aber gewaltiger Stimme wollte sich hören lassen und stellte sich zu diesem Zweck auf ein gepolstertes Fußbänkchen hinter ein elegantes Notenpult. Die Männer setzten sich Stühle hinter die Frauen, die Frauen machten erwartungsvolle Mienen, und es war so tiefe Stille in dem großen Zimmer, daß man nur die Bedienten hin und wieder: „Ist’s gefällig?“ brummen hörte, wenn sie Tee anboten. Beim ersten Takt, den man zur Begleitung des kleinen Fräuleins auf dem Flügel anschlug, entwich der junge Rempen in ein Nebenzimmer, um ungestört seinen Gedanken nachzuhängen; er zog weiter, wandelte ein paar Mal im Salon auf und ab, bog dann in die nächste Türe, dem Ende der Enfilade[1] zu. Im letzten Zimmer saß ein Mann in einem Sofa, der die Stirne in die Hand gelegt hatte. Bei Rempens Nähertreten wendete er den Kopf, und den Stallmeister hatte seine schnelle Ahnung nicht betrogen, es war Palvi.

„Auch Sie scheinen die Musik nicht in der Nähe zu lieben“, sagte Julius, indem er sich zu ihm auf das Ruhebett setzte; „kaum bis hierher klingen die zärteren Töne.“

„Es geht mir damit wie mit dem Geruch starkduftender Blumen“, erwiderte Palvi mit angenehmer Stimme. „Mit


  1. Eine derart zusammenhängende Reihe von Zimmern, daß bei geöffneten Mitteltüren der Blick vom ersten bis zum letzten hindurchgeht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 398–399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_200.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)