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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Fensters verweilt hatte, nach der Tür des Vorsaals gehen. Er folgte ihm dahin, wie zufällig nahm er zugleich mit jenem seinen Mantel um.

„Auch Sie scheinen kein Freund des Tanzes zu sein“, redete er den Referendär an.

„Ich habe es längst aufgegeben“, antwortete er, „aber Sie, Sie, ein Glücklicher, und nicht tanzen?“

„Ein Glücklicher?“ erwiderte der Stallmeister freundlich; „davon möchte ich mir doch noch eine nähere Definition erbitten. Überhaupt, hier wird mir so langweilig zu Mute, und zu Hause geht mir die Tanzmusik im Kopfe herum; gehen wir, wenn Sie nichts Besseres vorhaben, nicht irgendwohin zusammen?“

Palvi schien in einiger Verlegenheit zu sein. „Ich weiß nicht, was mir Ihre Gesellschaft so wünschenswert macht“, antwortete er; „ich möchte die Hälfte der Nacht mit Ihnen verplaudern, und dennoch, werden Sie es glauben? – ich rechnete darauf, früh diese Gesellschaft zu verlassen, und habe einem Freunde den übrigen Teil des Abends zugesagt.“

„Wohlan!“ fuhr der Stallmeister scherzend fort, „wenn Sie nichts gar zu Wichtiges zu besprechen haben, so folge ich Ihnen dahin.“

Der junge Mann errötete. „Das Haus ist abgelegen“, sagte er, „und für solche Gäste nicht ganz passend.“

„Und wenn es der Entenzapfen wäre“, rief Rempen; „es soll ja vortreffliches Cerevis dort geben.“

Mit einer Mischung von Staunen und Freude blickte ihn der Referendär an; doch ehe er noch fragen konnte, sprach Rempen weiter: „Verzeihen Sie meiner Neugierde, die diesmal die Diskretion überwog. Der Zufall machte mich zum Zeugen, als ein wunderlicher alter Herr Sie einlud, und schon damals wünschte ich, mit von der Partie zu sein, um so mehr“, setzte er verbindlich hinzu, „da ich diesen Abend so manchen point de réunion zwischen uns fand.“

„Gut, so folgen Sie mir. – Sie werden ein Original kennen lernen, das aber mehr unsere Aufmerksamkeit verdient als die schwachen Kopien dort oben, die doch immer für Originale gelten möchten, ja, sich selbst dafür halten. Ich meine jene Poeten [411] und Literatoren, die uns heute morgen ein so wunderbares Schauspiel gegeben haben.“

„In seiner Art diesen Abend ein nicht minder sonderbares“, entgegnete Rempen; „oder sollte Ihnen entgangen sein, wie ungezogen sie sich benahmen, als man verlangte, dieser Roman sollte vorgelesen werden; schien es nicht, als wollten sie durch stilles, höhnisches Lächeln, durch ihre kalte Entschuldigung, zum Vorlesen nicht bei Stimme zu sein, durch so manche Zeichen ihres Mißfallens der Gesellschaft die Überzeugung aufdringen, als sei das Buch schlecht und unwürdig? Man kann nicht verlangen, daß sie sich – wollen sie einmal ungesittet sein – im Keller eines Italieners Fesseln anlegen; sie bezahlen dort, und ihre Rede ist frei; aber in einer Gesellschaft wie diese mußten sie sich den Gesetzen des Anstandes fügen.“

„Ich wollte vieles wetten“, bemerkte Palvi, „der Mann, zu dem ich Sie jetzt führe, ob er gleich in seinen Gewohnheiten und Sitten wenig gesellschaftliche Bildung verrät, würde sich weniger unschicklich benommen haben.

„Und wer ist er denn!“ fragte der Stallmeister.

„Er gehört einem Schlag von Leuten an, die man in unsern Ländern jetzt weniger oder nicht so auffallend und originell sieht als früher, ein sogenannter württembergischer Magister. Bitte, zum voraus, glauben Sie nicht, daß in diesem Begriffe etwas Lächerliches liege, denn eine nicht geringe Zahl würdiger, gelehrter Männer unserer Zeit gehören diesem Stande an. Es gab in früherer Zeit, ob jetzt noch, weiß ich nicht, in jenem Lande eine Pflanzschule für tiefe Gelehrsamkeit[1]. Es gingen Philologen, Philosphen, Astronomen, Mathematiker in Menge daraus hervor; zum Beispiel ein Kepler, ein Schelling, Hegel und dergleichen. Vor zwanzig Jahren soll man allenthalben in Deutschland Leute aus dieser Schule gesehen haben; den Titel Magister bekommen sie als Geleitsbrief mit. Sie waren gewöhnlich mit tiefen Kenntnissen ausgerüstet, aber vernachlässigt in äußern Formen, in Sprache und Ausdruck sonderbar, und spielten eine um so auffallendere Figur, als sie gewöhnlich, ihrer Stellung


  1. Tübingen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 410–411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)