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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

worden; verlassen, verwaist, auch von der Liebe verlassen, will sie nur so lange noch in der Nähe des Geliebten weilen, bis der Frühling heraufkommt; doch nicht nur diese zarte Blume, auch der Orden trägt den Tod im Herzen, und beide sollten den letzten Frühling in Marienburg sehen.

Der Großmeister Ulrich von Elrichshausen kann sich mit seinen Rittern nicht mehr gegen den Aufstand der Preußen und gegen seine eigenen Söldner halten. Er will den Orden nach Deutschland führen und bedingt sich von den Verrätern freien Abzug. Schon sind die Pferde gerüstet, der Zug will aufbrechen, und die Ritter nehmen mit blutenden Herzen von den Hallen dieser Burg Abschied. Und als alle noch einmal ihr Teuerstes mustern, was sie verlassen sollen, kann Kuno dem letzten Ruf der Geliebten nicht widerstehen; er will zu ihr und – findet sie sterbend. Sie schien nur noch so viel Leben in sich zu tragen, um ihn von ihrer Treue, ihrer Liebe zu versichern. Indessen hat Czirwenka die Tore geöffnet. Sechshundert Polen ziehen ein, und, statt dem Orden freien Abzug zu gönnen, wird der Großmeister vom Pferde gerissen, verspottet und verhöhnt. Kuno verläßt die sterbende Geliebte, um ihm beizuspringen; ein heftiges Gefecht entspinnt sich in den Höfen; einem großen Teil der Ritter, den Meister in der Mitte, gelingt es, zu entkommen, aber Kuno mit sechs andern tapfern Ordensbrüdern, welche die Fahnenwache bildeten, werden von den übrigen abgeschnitten; kämpfend ziehen sie sich über die breiten Stufen bis in den großen Rempter[1] zurück, wo sonst die Ordensfahne stand. Der Entschluß, sie lebend nicht zu übergeben, beseelt sie, sie pflanzen das Panier an seinem alten Standpunkt auf und umgeben es. Lange gelingt es ihnen, das Siegeszeichen so vieler Schlachten zu verteidigen. Aber die Polen dringen immer heftiger ein; Übermacht und Verrat siegen, und über ihre Fahne gebreitet, sterben die letzten Ritter von Marienburg.

Es entstand eine Pause, als Palvi geendet hatte; es schien niemand zuerst jene Stille stören zu wollen, die unter zwei oder drei heilig und rührend, in größeren Gesellschaften peinigend ist. [431] Doch je erhabener das Gefühl ist, welches zu einer solchen Ruhe zwingt, desto ängstlicher sind die Menschen, mit etwas Gemeinem diese Nachklänge tieferer Empfindungen zu unterbrechen. Sie rennen dann auf allen vieren durch die Speisekammer ihrer Erinnerung, um etwas Feines, Eingemachtes, Kandiertes vorzusetzen, statt ihre frischen natürlichen Gefühle sprechen zu lassen.

„Dieser ganze Roman“, lispelte endlich eine Dame, deren Blässe und feuchte Augen auf zarte Nerven schließen ließen, „kommt mir vor wie jener Ausspruch Jean Pauls: ‚Wie manche stille Brust ist nichts als der gesunkene Sarg eines erblaßten, geliebten Bildes.‘ Dieser Hüon liebt gewiß unglücklich, und darum gefällt er sich in diesem tragischen Geschick.“

„Gerade dies kommt mir überaus komisch vor“, bemerkte der Rat, dem Neid und Verdruß um die Nasenflügel spielten; „dieser Mensch hat zu wenig Tiefe, zu wenig Empfindung, um die Wehmut, das Unglück zu zeichnen; doch ich habe mich an einem andern Ort hinlänglich darüber ausgesprochen. Gewiß, es ist so, wie ich sage. Es steht ja gedruckt, mein Urteil“, setzte er hinzu, indem er sich vornehm in den Stuhl zurücklehnte.

„Doch glaube ich, auch gegen ein gedrucktes Urteil findet noch Appellation statt“, sagte der junge Rempen mit gleichgültiger Miene.

„Wieso?“ rief der Rat errötend.

Rempen war etwas betroffen, aber die muntern Augen seines Oheims, der hinter dem Stuhl des Hofrates stand, winkten ihm, fortzufahren. „Ich meine, ich habe so etwas gelesen, das Ihr Urteil, bester Hofrat, völlig umstieß“, entgegnete er; „übrigens ist ein gedrucktes Urteil immer nur das Urteil eines Einzelnen, und dem Einzelnen muß erlaubt sein, dagegen zu streiten. Ich zum Beispiel finde diesen Roman besser, als Sie ihn gemacht haben. Auch glaube ich, Tiefe des Gefühls müsse dem abgehen, der dies in den ‚Letzten Rittern von Marienburg‘ nicht findet.“

Der Oheim hatte solches wohl nicht geahnet, denn er und die ganze Gesellschaft schienen erstaunt über die Kühnheit des Stallmeisters.

„Solche historische Romane“, nahm der Professor das Wort, „sind nur Fabrikarbeiten. Die Form ist gegeben, und wie leicht,


  1. Rempter, ein großer Versammlungssaal; derjenige der Marienburg ist besonders wegen seiner architektonischen Schönheit berühmt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 430–431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_216.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)