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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

nur einen Teil jener Liebe schenken könnten, die jener ganz besaß?“

„Julius, was fällt Ihnen ein?“ rief sie mit bebenden Lippen, doch ohne ihm ihre Hand zu entziehen. „Wozu –“

„Elise“, fuhr er fort, „ich kann einem so großen und schönen Herzen, wie das Ihrige ist, wenig Trost geben; aber die Zeit mildert; und kann nicht treue und aufmerksame Liebe selbst schönere Vorzüge ersetzen?“

Sie wollte antworten, sie errötete und schwieg, aber ihren Blick voll Liebe und Wehmut durfte er günstig für sich deuten; er schloß sie in seine Arme und küßte ihren schönen Mund.

„Aber mein Gott, Rempen“, sagte sie, indem sie sich sanft von ihm loszumachen suchte, „was machen Sie doch?“

„Ich habe dich ja längst geliebt“, fuhr er fort, „hatte nur einen Wunsch, ich glaubte dein Herz nicht mehr frei und zögerte; jetzt, da ich weiß, daß nur Gram, aber keine fremde Liebe in diesem Herzen wohnt, jetzt mußte ich dieses lästige Geheimnis von mir werfen. Aber wie? – zürnen Sie mir vielleicht über alles dieses?“

„Julius!“ rief sie, erschreckt von dem wehmütigen Ton, womit er die letzten Worte sagte.

Dieser Name, so sanft und wohlwollend ausgesprochen, ihr ängstlicher, zärtlicher Blick sagten ihm mehr als alle Worte. „Und darf ich mit dem Vater reden, Elise? Darf ich?“ setzte er hinzu.

Sie errötete und erbleichte ebenso schnell wieder, sie sah ihn eine kleine Weile prüfend an, eine Träne trat in ihre schönen Augen, aber um ihren Mund zog ein flüchtiges, feines Lächeln; sie drückte seine Hand; eine kleine Bewegung des Hauptes und die hohe Röte, die wieder über ihre Wangen ging, sagten ja, und schnell, wie vom Wind hinweggetragen, war sie in ein anderes Zimmer entschlüpft.

Der Stallmeister war in jeder Hinsicht eine so gute und anständige Partie, daß der alte Wilkow, als der Geheimerat von Rempen für seinen Neffen warb, keinen Anstand nahm, seine Zusage zu geben. Der junge Mann selbst war so von seinem süßen Glück erfüllt, daß er lange nicht an die Begebenheiten dachte, die diesem wichtigen Schritt vorangegangen waren. Endlich [437] erinnerte ihn ein Zufall an Palvi; so unangenehm diese Erinnerung war, so fühlte er doch als Mann und als künftiger Gatte Elisens, daß er diesem Menschen, mochte er sich auch wirklich schlecht gezeigt haben, Erklärung schuldig sei. Und wie bebte seine Hand, als er ihm in wenigen Zeilen sagte, daß Elisens Widerwillen unüberwindlich sei, daß er ihn versichern könne, daß sie niemals einen Mann mehr lieben werde, welchen sie aufzugeben nicht unrecht gehabt, daß er selbst versuchen wolle, Palvis Stelle bei ihr zu ersetzen. Ja, seine Hand, sein Herz bebte, als er diese Buchstaben niederschrieb; es konnte ihn nicht beruhigen, daß er sich ins Gedächtnis recht lebhaft zurückrief, wie niedrig und elend dieser Mensch an einer so zarten, heiligen Liebe, wie sie Elise gab, gefrevelt habe. Die edeln Züge, das Auge dieses Mannes standen vor ihm; sein so hoher und liebenswürdiger Geist, so fein in Urteil und Benehmen und dennoch so wenig sittliche Würde? Die Erinnerung an jenen Abend, wo sich ihm dieser Mann so ernst und doch so herzlich genähert hatte, wo er ihm sein inneres Leben aufschloß und ein verarmtes Herz bei solchem Reichtum der Gedanken, eine tief verwundete Seele bei solcher Gesundheit des Geistes zeigte, machte ihn so wehmütig, daß er nahe daran war, die kaum geschriebenen Zeilen zu zerreißen; aber der Gedanke an Elise, die Vermutung, daß dieser Palvi so schöne Empfindung, so tiefe Rührung nur geheuchelt haben müsse, erkälteten schnell seine warme Teilnahme. Entschlossen schickte er den Brief ab, und doch deuchte es ihm, als er seinen Boten verschwinden sah, er habe einen Todespfeil auf ein edles Herz entsendet.

Der alte Herr von Rempen erinnerte sich mehrerer Fälle, wo die feierliche Verlobung gräflicher, sogar fürstlicher Paare gleich den andern oder dritten Tag, nachdem die Werbung angenommen worden, vor sich gegangen war. Er stand daher um so weniger an, seinen Neffen und Elisens Vater zu gleicher Eilfertigkeit zu treiben, als er selbst gleich nach dieser Szene, wobei seiner Meinung nach sein Segen notwendig war, auf mehrere Wochen auf das Land wollte. So kam es, daß sich der Stallmeister durch den verhängnisvollen Zug der Umstände in die ruhige Bucht eines schönen, häuslichen Glückes versetzt sah, als

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 436–437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_219.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)