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haben, als die geschraubte epigrammatische Spitzfündigkeit späterer Zeiten. Dort sprechen Sachen statt der Worte; die Worte sind nur da, jene vorzuzeigen und mit dem Siegel einer stummen Empfindung, wie mit dem Finger der Andacht oder der Liebe zu bezeichnen.

Beispiele werden auch hier das Beste thun und die Anthologie ist voll derselben. Wenn Sappho einem armen Fischer die Grabschrift setzt: a)[1]

„Dem Fischer Pelagon hat hier sein Vater
Meniskus Ruder und Reisig hingesetzt, ein
Denkmal seines mühseligen Lebens.“

welches sinnreichern Schlusses bedürfte das Epigramm weiter? Das arme Denkmal auf dem Grabe spricht statt aller Worte, so daß die Zunge der Dichterin nur eine Dollmetscherin dessen seyn darf, was das Symbol selbst zum Gedächtniß des Todten und seines mühseligen Lebens und der Empfindungen seines ihn überlebenden armen


  1. a) Brunk analect. T. I. p. 55.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_117.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)