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darf fehlen; oder beides fällt sogleich auf und der Zweck des Gedichts wird nicht erreichet. Daher finden wir, daß manche große Männer in größeren Gedichten leidlich waren; so bald sie sich an ein kleines Epigramm versuchten, wurde ihr lahmer Gang sofort sichtbar: denn hier galts keinen Spatzierweg, sondern den kürzesten Lauf zum Ziele. In diesem Betracht halte ich das Epigramm wirklich nicht nur für einen Probierstein des Witzes, sondern auch des scharfsinnigen Verstandes, der leichtesten Ordnung, des zweckmäßigsten Ausdrucks. Ein treffendes Epigramm sagt oft mehr, als eine langweilige Abhandlung voll unnöthiger Vorbereitungen, Seitensprünge und Declamationen.

Damit ich nicht mißverstanden werde, setze ich sogleich dieses hinzu. So sehr die Griechen den Witz liebten: so war das Epigramm des Spotts bei ihnen weder das Einzige noch das Erste. Zwar hat uns die Anthologie auch in dieser Gattung eine ziemliche Menge schlechter und guter Sinngedichte aufbehalten, und da ich

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_160.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)