Seite:De Zerstreute Blätter II (Herder) 250.jpg

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Seele nicht müssig seyn kann, eine Vergleichung unsres mit dem Zustande des Glücklichern ein und so wird die leichteste Art der Nemesis gebohren, die eigentlich noch kein Neid, keine Misgunst, aber eine Art von selbstischer Gleichgültigkeit ist, die uns keine gefällige Zusammenschmelzung zuläßt. Bei rohen Gemüthern bricht sie bald in kalten Unwillen aus und je mehr der andere mit seinem Glück groß thut, ja weniger er in Worten und Thaten sich auf eine glückliche Verbergung seiner Vorzüge verstehet; desto mehr erregt er wo nicht Neid, so doch Unwillen gegen sich: denn auch der, der ihm sein Glück gönnet, zürnt darüber, daß jener es nicht weiser zu genießen und mit Mäßigung gefällig zu machen wiße. Diese Nemesis liegt in allen Herzen: sie war auch, wie die griechischen Redarten zeigen, die Erste, die die Sprache und Mythologie bemerkte. Sie ist, wenn sie wilde hervorbricht, eine Tochter der Nacht, die Gesellin des Zanks, des Haßes und der Schadenfreude; kurz die Nemesis, die Hesiodus in seiner Theogonie als eine

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_250.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)