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gegen sich erweckte oder vom guten Fortgange seiner Wünsche betäubt, in einer Art von Schwindel auch das Unmögliche wünschte und über die Linie, die ihm das Schicksal gezogen hatte, die er auch mit nüchternem Auge wohl hätte finden mögen, tollkühn hinausbrach: so gaben ja diese Erfahrungen selbst unsrer Göttin das Rad unter die Füsse, das immer beweglich, Spurenlos hinläuft, und um welches sich der Menschen lachendes Glück wälzet. Mithin ward sie die Entscheiderin, die Zunge auf der Lebenswaage des Menschen, (ροπα βιου;) keine Rach- und Plagegöttin, sondern eine hohe Rechtvertheilerin, eine Unbetrügliche, die in den Busen blickt, wenn sie nach dem eignen Betragen des Menschen der Erfolg seiner Thaten abwäget. Jedes zu glänzende Glück ist durch sich gefährlich, nicht nur indem es den Neid erweckt und das Rad der Zeit sich unaufhörlich wälzet; sondern weit gefährlicher ists dadurch, weil so gern Uebermuth dasselbe begleitet. Und sofort stürzet es sich selbst; die Göttin, die dem Tritt der Menschen verstohlen

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_256.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)