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1.

Unter dem Namen der morgenländischen Dichtkunst begreift man gewöhnlich die Poesie so verschiedner Völker und Zeiten Asiens, als man in Europa schwerlich unter Einem dergleichen Hauptnamen begreifen möchte.

Die Poesie der Ebräer, als die älteste, faßt schon einen Zeitraum vielleicht von mehr als einem Jahrtausende in sich, und gehet der Literatur der Araber, Griechen und Römer größtentheils ganz vorher. Sie ward in einer Sprache geschrieben, die sich zur eigentlich-wissenschaftlichen Cultur nie ausgebildet hat, weil ihr lebendiger Gebrauch als einer Nationalsprache zu schnell unterging; man kann also diese Poesie nicht anders als ein frühverblühetes Kind, die Tochter der Jugend eines zerstreueten Volks betrachten, das seitdem nie seine Sprache hat fortbilden können. Ihr Eindruck aufs menschliche Gemüth ist,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)