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denn unsre kühlere Phantasie bald an der Widerwärtigkeit, bald am Uebermaas der Bilder stößt, und Gold auf Silber, Silber auf Gold gesetzt findet. Hier sollten wir bedenken, daß bey allen Völkern, bey denen die Prose, zumal durch Geschichte, Redekunst und Philosophie, nicht ausgebildet war, immer derselbe Fall eintrat, und daß sich überhaupt die leidenschaftliche Sprache, das os divinum, magna sonaturum ein viel Mehreres erlaubt halte, als z. B. der erzählenden oder der schildernden Poesie zusteht. Auch bey den Griechen, wie schnell läuft Pindar selbst bey seinen Sprüchen aus einem Gleichniß ins andre! wie kühn setzt er oft die widerwärtigsten Bilder zusammen, so daß unsre Sprache, die sich sehr kühne Zusammensetzungen erlauben darf, ihm dennoch nicht nachfolgen kann. So ists mit mehreren lyrischen Dichtern der Griechen; so mit dem Spruchreichen Chor ihrer Tragödie, wenn man es mit der Sprache der handelnden Personen vergleicht; und warum sollte es in der Poesie der Morgenländer anders seyn müßen, da sie in Mündung

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)