unabhängig zu sein: da nanntest Du meinen Rath spießbürgerlich; er war es auch! aber ich erwähne seiner nur um Dir zu zeigen, daß ich weit mehr als Du die Wechselfälle Deiner Zukunft berechne, und da all' meine Dich betreffenden Voraussichten sich erfüllt haben, so vertraue mir jezt .… ach! nur insofern, daß Du Dich auf Dich selbst besinnst ehe Du einen Schritt thust, der von so fürchterlicher Wichtigkeit ist.“
Dorothee hatte mit der eindringlichsten Lebhaftigkeit gesprochen, und Leonor im höchsten Grade getroffen durch die Richtigkeit ihrer Ansichten, die sich auf genaue Kenntniß seines Characters gründeten, versank in trübes nachdenkendes Schweigen. Endlich erwiderte er:
„Du bist ein redlicher Anwalt der Vernunft, gute Dorothee, aber die Liebe hat den ihren in meinem Herzen. Seit ich diese Frau kenne ist sie wie ein überirdisches Wesen, wie eine Gottheit mir entgegen getreten. Für Dich, für mich, zu jeder Zeit, in jeder Beziehung, war ihr Thun und Sein holdselig, voll Güte, voll ich weiß nicht welcher vollherzigen Seelenwärme und Geistesfrische, von denen ich in diesem Grad und dieser Vereinigung kein zweites Beispiel kenne. Sie ist wie die Sonne, so warm und so licht! – o liebe Dorel, die Frauen sind
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/194&oldid=- (Version vom 31.7.2018)