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Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes.[1]
Von Paul Joachimsen † (München).

Wer von dem Verhältnis des Humanismus zum deutschen Geiste in ihrer historischen Beziehung spricht, ist sich bewußt, daß er es mit zwei ungenügend umschriebenen, nach ihrem Sinn und Umfang umstrittenen Größen zu tun hat. Ich kürze den schwierigen und doch kaum zu einer Übereinstimmung der Meinungen führenden Weg der Begriffsanalyse ab, indem ich zunächst einmal sage, was in den folgenden Ausführungen unter Humanismus verstanden werden soll. Humanismus soll eine geistige Bewegung sein, die in einem Drang nach Wiederbelebung des klassischen Altertums wurzelt. Dabei ist Wiederbelebung im strengen Wortsinn genommen. Es wird vorausgesetzt, daß das Altertum einmal tot war, aber einer Wiederbelebung fähig und für die Menschen, die davon reden, bedürftig ist. Dazu ist nötig, daß diese Menschen zwischen sich und dem Altertum einen Abstand, besser gesagt, eine Kluft empfinden. Ferner, daß das Altertum für sie eine geschlossene Einheit ist. Es muß als solche einmalig und nicht wiederholbar sein, aber es muß die Prinzipien der Formung und der Normierung für die eigene Kultur der zu „einem“ Humanismus strebenden oder ihn bekennenden Menschen enthalten[2]. Endlich wird vorausgesetzt, daß diese geistige Einstellung


  1. Erweiterte Wiedergabe eines auf der Salzburger Philologenversammlung September 1929 gehaltenen Vortrags. – Ich gebe von Literatur nur an, was mich gefördert hat, füge aber aus den Quellen einige Belegstellen bei.
  2. Man wird das hoffentlich nicht für eine neue Weisheit halten. Ich setze aber doch eine Stelle aus Ranke her, die 1874 geschrieben ist: „Eines der wichtigsten Momente (für den Wandel der Tendenzen bürgerlicher, künstlerischer, kommerzieller Entwicklung um die Wende des 15. Jahrhunderts) lag in dem veränderten Gange der allgemeinen Studien: es waren die Tage des emporkommenden Humanismus. Dabei kam es aber nicht etwa allein auf Sprache und Grammatik an. Durch die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum wurden [420] die großen Ideen, die dem menschlichen Leben in der Gesellschaft zugrunde liegen in Recht, Religion und bürgerlicher Gesellschaft ins Bewußtsein gerufen (Zwölf Bücher Preußischer Geschichte Bd. I, S. 147, Akademieausgabe [1930] I, 167).