Seite:De humanismus (joachimsen) 002.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht die Einzelner, sondern die einer ganzen Zeit ist. Es ist weiter damit gegeben, daß Humanismus als geschichtliche Bewegung nur da möglich ist, wo in dem eigenen Leben ein Mangel gesehen wird, für den eben die wiederbelebte Antike Erfüllung bieten soll.

Ich füge hier gleich hinzu, daß es von dieser Bewußtseinshaltung aus zwei Einstellungen zu dem Problem des Humanismus gibt, die ich als die romantische und als die klassische bezeichnen will. Für die eine, die romantische, ist die Wiederbelebung der Antike eine Sehnsucht, die schon weil sie ja eine echte Palingenese sein müßte, niemals völlig erfüllt werden kann, ja deren Wert eben in ihrer Unerfüllbarkeit liegt; für die andere, die klassische, ist die Antike die Rechtfertigung des eigenen, bejahten Daseins unter einem überzeitlichen Aspekt; Wiederbelebung ist hier Erinnerung als Erweiterung des Selbstbewußtseins, Anamnese im platonischen Sinne. Das Problem des Humanismus ist aber beidemal das gleiche. Es ist ein Problem der Formung und der Normierung. Als Problem der Formung ist der Humanismus primär ästhetisch, aber so, daß in den ästhetischen Werten die ethischen als beschlossen gedacht werden. Wo dies beides auseinanderfällt, haben wir eine erste Umsetzung des Begriffs, die historisch, wie wir sehen werden, außerordentlich bedeutsam und für die Problematik des deutschen Humanismus entscheidend wichtig ist, aber bereits, das wollen wir hier betonen, eine Trübung des ursprünglichen Sinnes des Begriffs Humanismus darstellt.

Ist dies richtig, so gibt es im Mittelalter keinen Humanismus, keinen karolingischen, ottonischen, normannischen, und was man sonst noch etwa mit diesem Namen beehrt hat[1]. Es gibt eine größere oder geringere Hervorhebung der antiken Elemente, die sich mit dem Christentum schon durch seine Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und durch seinen Eintritt in das


  1. Ich unterscheide mich aber schon in der Terminologie grundsätzlich von den Forschungen Konrad Burdachs. Was ich im einzelnen gegen sie einzuwenden habe, habe ich in der Historischen Vierteljahrschrift 1921, S. 426 ff. gesagt und werde das an derselben Stelle demnächst mit Berücksichtigung der seitdem neu erschienenen Bände von Burdachs großem Forschungswerk ergänzen.