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Diese Entwicklung füllt die erste Periode der italienischen Renaissance aus. Es ist die Zeit der Kommunen und der frühkapitalistischen Formen. Sie reicht etwa von 1250–1350. Sie ist vollständig abgelaufen, als der Humanismus fähig wird, und sich anschickt, diese Renaissance zu formen und zu normieren und ihr damit eine neue, die endgültige Rechtfertigung zu geben. Das Zeitalter der Kommunen wird abgelöst durch das der Signorien. Mit ihnen und mit den principati, wir pflegen zu sagen, mit dem ausgebildeten Renaissancestaat, hat es der Humanismus zu tun. Er findet also – und das ist für den Fortgang wohl zu beachten – nicht mehr die alte Polis mit ihrer Bürgerfreiheit, sondern den neuen Staat mit seinem Herrscher. Es gibt zwei scheinbare Ausnahmen von diesem Satz: Venedig und Florenz. Scheinbare, denn auch in Venedig, wo eine kaufmännische Oligarchie und in Florenz, wo eine Demokratie zur obersten Macht aufgestiegen ist, ist die theoretische Gleichheit des Bürgerbegriffs längst nicht mehr die wirkliche Form des staatlichen Daseins. Und nur in Florenz hat es der Humanismus noch mit der Formung eines Bürgergeists zu tun[1]. In der Hauptsache aber steht er vor den Problemen einer aristokratischen Menschenkultur und bringt sie in die klassische Form. Die Ruhmbegier ist schön, denn Horaz und Vergil haben sie besungen, der Genuß des Lebens nicht sündlich, denn Ovid und Epicur haben ihn empfohlen. Aber in dem all wirkt nun doch die antike Polis fort, denn diese Tugenden sind nicht mehr Tugenden eines Standes, sondern die eines neuen Menschentyps. Die neue humanitas als Bildungs- und Lebensgefühl, wie sie am deutlichsten Lionardo Bruni in Florenz entwickelt. Und hier in Florenz bleibt auch der Gedanke lebendig, daß es Bürgertugenden gibt, die mit den geistlichen Tugenden wetteifern können, denn Cicero und Aristoteles haben sie gelobt.

So ergibt sich, vom Humanismus aus gesehen, eine große Rückwärtsaufrollung der antiken Überlieferung. Von Augustin, der, wie wir sahen, noch für Petrarca der eigentliche Blickpunkt ins Altertum gewesen ist, schreitet man vor zu den großen spätantiken Schulen der Epicureer und der Stoiker, und von

  1. Darüber jetzt Hans Baron, Lionardo Bruni Aretino. Humanistisch-philosophische Schriften. Leipzig 1928. In der Einleitung Gutes über den Florentiner ’Bürgerhumanismus’. Über seinen Begriff der humanitas auch K. Brandi, Das Werden der Renaissance. Rede. Göttingen 1908.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)