Seite:De humanismus (joachimsen) 012.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

den Sturz der politischen Selbständigkeit Italiens, wiederum ganz wie im alten Griechenland, und schafft die fast zwei Jahrhunderte dauernde Kulturhegemonie Italiens im Abendland.

Bemerken wir, daß in dieser humanistischen Formung der Renaissance zu einer Gesellschaftskultur das geschichtliche Problem der Renaissance nicht rein aufgeht[1]. Was übrig bleibt, zeigen aus der letzten Generation der Renaissance die Namen Machiavell und Michelangelo, zu denen man noch zwei andere aus den vorhergehenden gesellen kann, Lorenzo Valla und Lionardo da Vinci. Valla erhebt die Frage, ob ein consensus opinionum möglich sei ohne eine Diskussion der Denkformen, nur durch eine Übereinstimmung über die Formen des Sagens und die Inhalte des Gesagten. Von ihm geht eine Linie zu Petrus Ramus und zu Descartes. Lionardo erhebt die Frage, ob auch nur die ästhetische Bewältigung der Natur möglich sei, ohne eine Ergründung ihres mechanischen Zusammenhangs. Machiavell fragt, ob die humanistische Ausgleichung von ratio und Transzendenz, wie sie die ästhetische Lösung des Platonismus bietet, gegenüber dem Daseinsindividualismus der Renaissance Geltung haben könne. Er greift auf das Grundproblem der Polis zurück, konstruiert sie als ein reines Ergebnis der ratio und schafft damit die neue Wissenschaft der Politik, in der der ästhetische Mensch keinen Platz hat. Endlich Michelangelo schreitet von dem künstlerischen Problem des Widerspruchs zwischen Idee und Erscheinung zu der Frage vor, ob die humanistische harmonische Individualität die letzte Form der Persönlichkeit überhaupt sein könne. – Aber auch diese Menschen kommen alle von der humanistisch geformten Kultur der Renaissance her und sind ohne sie nicht denkbar. Man braucht nur zu versuchen, sie auf den Hintergrund mittelalterlichen Geistes zu projizieren, um das einzusehen.

Aber anderseits enthüllen uns diese vier Namen auch die eigentlich geistesgeschichtliche Problematik des Humanismus. Er unternimmt es, Kultur zu formen und zu normieren, indem er sie auf eine vergangene und zwar eben als vergangene wertvolle Kultur bezieht. Er sammelt diese Formen und Normen zu einem so früher nicht gekannten Begriff der Bildung. Diese

  1. Hierüber von anderer Fragestellung aus mancherlei Gutes bei E. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffs. Tübingen 1926.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)