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Bildung schiebt sich als etwas Selbständiges zwischen die Menschen und das Leben, das sie umgibt und aus dem sie kommen. Sie wird an all den Punkten durchbrochen werden müssen, wo dieses Leben zu grundsätzlich neuen Gestaltungen drängt. Der neue Menschentypus, den die Renaissance erzeugt, ist der experimentierende Forscher, der Politiker, der homo religiosus, der subjektivistische Kritiker. Der Humanismus erzeugt den ästhetischen Literaten, der Lebensprobleme in Gedankendinge verwandelt. Petrarca ist sein Urbild.

Ich habe diese Dinge ausführlicher behandelt als mein Thema zu erfordern scheint. Aber wie man den deutschen Humanismus nicht behandeln kann, ohne den italienischen zu kennen[1], so ist es ganz unmöglich, die Problematik zu erkennen, die sich aus der Begegnung des Humanismus mit dem deutschen Geiste ergeben wird, wenn wir nicht vorher die humanistisch geformte Renaissance in Italien zu einer Anschauung verdichtet haben. Dies nicht nur deshalb, weil es eben diese humanistisch geformte italienische Renaissance ist, mit der sich Deutschland auseinanderzusetzen hat, sondern auch deshalb, weil die Formung der italienischen Renaissance durch den Humanismus die erste kulturpsychologische Erscheinung des Humanismus bedeutet, nachdem wir es bei Petrarca nur mit einem individualpsychologischen Problem zu tun hatten. Vor allem aber auch deshalb, weil hier in Italien ein Bildungsbegriff das ganze geschichtlich wirksame Leben eines Volkes in sich aufgenommen zu haben scheint. Das aber ist nur dadurch möglich geworden, daß der Humanismus als geschichtliche Kraft hier in der italienischen Renaissance auf ihm homogene Bedingungen traf. Die weltliche Diesseitigkeit italienischen Volksgeistes, wie wir sie gerade in der so ganz vergeistigten Gestalt Franz von Asissis wahrnehmen, das naive Verhalten zu den Wirklichkeiten des Lebens, wie es etwa Salimbene von Parma so köstlich zeigt, die Bejahung der nächsten Zwecke, die den Italiener in der Welt des Rittertums ebensowenig ganz heimisch hat werden lassen wie in der der Gotik und der Scholastik, endlich die Möglichkeit im Römertum, dem echten wie dem hellenisierten, die eigene Vergangenheit zu erkennen – es sind alle diese Momente, welche die in ihrer Art einzige, nicht

  1. Dies ist für ein bestimmtes Gebiet nachdrücklich betont und gezeigt von E. Fueter, Geschichte der neueren Historiographie. München 1911. S. 137 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_013.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)