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als die böhmische Zeit Karls IV. die unmittelbar vorausgehende Zeit Ludwigs des Bayern beachten müssen. Denn weder die Unzulänglichkeit dieses Herrschers selbst, noch die phantastische, scheinbar ganz von Reminiszenzen lebende Art seiner Politik dürfen uns dafür blind machen, daß sich in dieser Zeit die eigentümlichen Regungen des deutschen Geistes auf den verschiedensten Gebieten zeigen. Da haben wir in der deutschen Mystik die Anfänge einer deutschen Philosophie, zugleich die erste geistige Richtung, die in Deutschland nicht bloß empfangend ist, wir finden eine deutsche Naturbeschreibung, eine über Weltchronistik und novellistische Abenteuerschilderung hinausführende Betrachtung des geschichtlichen Zusammenhangs, eine Besinnung auf ein deutsches Reichsrecht, einen höchst merkwürdigen Versuch, die alte Ritterdichtung mit Zeitideen zu erfüllen.

Aber all diese Ansätze verkümmern in den politischen Wirren der Städte- und Ständekämpfe, des Schismas und der ersten Konzilszeit. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erscheint das deutsche geistige Leben zerfahren, überall unbestimmt. In der großen Diskussion über die Neubegründung der kirchlichen Einheit, die das Schisma hervorruft, ist Deutschland wohl durch Namen wie Heinrich von Langenstein und Dietrich von Niem vertreten, Männer die auch nicht ohne Bewußtsein ihrer Deutschheit sind, aber ihre Bildungsquellen liegen in Paris und Rom. Auf dem Konzil zu Konstanz ist Deutschland, gegen Frankreich und Italien gehalten, geistig passiv.

Aber unmittelbar darnach, in Basel, tritt nun derjenige Mann auf, in dem die eigentümlichen Tendenzen des deutschen Geistes verselbständigt, wissenschaftlich geformt, mit der ganzen Breite der Kultur auseinandergesetzt erscheinen. Nicolaus von Cues ist schon nach seinem äußeren Wirken ein universaler Mensch. Jurist und Theologe, Naturbetrachter und spekulativer Denker, Historiker und Politiker, überall an die Vergangenheit anknüpfend und kühn in die Zukunft weisend. So hat er, begreiflich, schon die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich gezogen und ist bis in die neueste Zeit immer stärker beachtet worden[1]. In einer

  1. Für das Biographische E. Vansteenberghe, Le cardinal Nicolas de Cues. 1920. Am förderlichsten für die hier verfolgte Linie der Betrachtung E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 1³. Berlin 1922. Derselbe, Individuum und Kosmos in der Philosophie der [434] Renaissance. Leipzig 1917. S. 203 ff. Hier eine kritische Ausgabe mit Übersetzung des Liber de mente des Cusaners. – Außerdem, eigenwillig, aber stark anregend Rudolf Stadelmann, Vom Geist des ausgehenden Mittelalters. Studien zur Geschichte der Weltanschauung von Nikolaus Cusanus bis Sebastian Franck. Halle 1929.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_015.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)