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Geschichte des deutschen Geistes vor allem muß man ihn an den Beginn der großen Zeitwende stellen, die wirklich das deutsche Mittelalter von einer deutschen Neuzeit scheidet. Will man vom einem deutschen Renaissancebewußtsein sprechen, so kann man es noch am ehesten und jedenfalls am frühesten bei ihm finden. Auch wenn wir ihn mit seinen italienischen Zeitgenossen vergleichen, so wird man wenige nennen können, bei denen dieses Gefühl, im Aufgang einer neuen Zeit zu leben, ebenso deutlich zum Ausdruck kommt, wie in den Einleitungsworten seines staatsphilosophischen Hauptwerks ’De concordantia catholica’[1]. Ebenso deutlich aber zeigt er die deutschen „Renaissance-Probleme“ und man sieht sogleich, daß sie ganz anderer Art sind als die italienischen. Da handelt es sich nicht um die Absteckung des Bezirks der ratio im Leben des Individuums, des Staats oder der Gesellschaft, nicht um den Staat oder den Krieg als Kunstwerk. Sondern um die Tragweite der mens des Menschen, die als das Messende der empirischen Welt, ja Gott selbst seinen Wert gibt[2], um den Menschen, der gerade im Bewußtsein dieser Fähigkeit und der Unendlichkeit der aus ihr erwachsenden Aufgabe das Glück des

  1. Videmus per cuncta ingenia etiam studiosissimorum omnium artium liberalium ac mechanicarum artium vetera repeti eaque avidissime quidem, ac si revolutionis circulus proximo compleri speraretur. Verum et eloquio et stilo ac forma literarum videmus omnes delectari, maxime quidem Italos, qui non satiuntur disertissimo eloquio, sed primorum vestigia repetentes. Graecis litteris maximum etiam studium impendunt. Nos vero Germani, etsi non longe aliis ingenio minore ex discrepanti stellarum situ essemus effecti, tamen in ipso suavissimo eloquii usu aliis plerumque non nostro cadimus vitio, cum non sine labore maximo, tamquam resistenti naturae vim facientes Latinum recte fari valeamus. – Gerade daraus leitet er dann seine eigene Forschungsaufgabe ab. Vgl. A. Meister in den Annalen des hist. Vereins f. d. Niederrhein Bd. 63.)
  2. De ludo globi (bei Cassirer, Erkenntnisproblem I², 58¹): Dum profunde consideras, intellectualis naturae valor post valorem Dei supremus est. Nam in eius virtute est Dei et omnium valor notionaliter et discretive [begrifflich und unterschiedlich]. Et quamvis intellectus non det esse valori [dem Wert nicht zu seiner Existenz verhilft], sine intellectu valor discerni etiam, quia est, non potest. Semoto enim intellectu non potest scire, an sit valor. ..In hoc apparet preciositas mentis, quoniam sine ipsa omnia creata valore carerent.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_016.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)