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an der Agitation Wimpfelings, wieviel Angriffspunkte dieser Zustand dem Humanismus bot. Daß hinter dem noch Tieferes liegt, wird sich zeigen.

Die humanistische Bewegung hat es nun in Deutschland mit einigen besonderen Erscheinungen zu tun. Die allgemeine Reformationstendenz, die aus den Konzilien von Konstanz und Basel übrig geblieben war, erscheint in Deutschland in besonderer Stärke und besonderer Art. Die Absichten einer Reformation der Kirche verbinden sich, wie wir schon bei dem Cusaner sehen, den Plänen einer Reformation des Reiches. Die Hussitengefahr gibt ihnen Aktualität. Ein merkwürdiges Schriftchen, die Reformation des Kaisers Sigismund, zeigt, wie sie sich dann fast selbstverständlich die populär-demokratischen Tendenzen einverleiben. Was hier der Humanismus leistet, sehen wir an den Gravamina der deutschen Nation. Sie sind in ihrer ersten Fassung nichts als eine Aktion des höheren deutschen Klerus, diktiert von dem geistlichen Standesinteresse. Aber in der Fassung, die ihnen der Mainzische Kanzler Martin Mair, ein Schüler Gregor Heimburgs, in seiner Diskussion mit Enea Silvio gibt, erscheinen sie als der Aufschrei einer von ihrer früheren Größe herabgestürzten Nation, die jetzt einer fremden Macht, dem römischen Hofe, wehrlos preisgegeben ist: das eine große Thema des nationalen Humanismus ist angeschlagen, es wird weiter klingen bis zu Hutten.

Zu dieser allgemeinen Reformationstendenz kommt die monachale Reform. Sie ist ebenfalls ein Ergebnis der Konzilien und ebenfalls allgemein abendländisch. Sie soll wenigstens das wichtigste Glied der Kirche, den Mönchsstand, reformieren, nachdem die reformatio in capite et membris gescheitert ist. In Deutschland bedeutet auch diese Reform etwas Besonderes, nämlich die Wiederbelebung der alten Benediktinerkultur[1]. Zum erstenmal tritt eine Epoche der eigenen Vergangenheit, die Zeit Karls des Großen, mit ihrem Mittelpunkt Karl selbst, unter den Gesichtspunkt einer wertgebenden Betrachtung. Der wunderliche Abt Trithemius, der erste große Sammler und Kenner der Zeugnisse der alten deutschen Vergangenheit, kommt aus diesem Zusammenhang.

  1. Dazu meine Arbeit über Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus I (Leipzig 1920), S. 40 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)