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Weiter führt die Elsässer Schule mit Geiler, Brant und Wimpfeling[1]. Sie stehen in einem gewissen Gegensatz zum Mönchtum, sind sogar gelegentlich in Konflikte mit ihm geraten, vor allem, weil sie nicht zugeben wollten, daß „die Weisheit in den Kutten stecke“. Aber sie haben die mönchischen Ideale: die Abgeschiedenheit von der Welt – alle drei haben wiederholt den Plan erwogen, sich in eine Schwarzwaldeinsiedelei zurückzuziehen – und daneben den Missionsdrang des Wirkens auf die Welt. Geistig sind sie Schüler des doctor christianissimus Jean Gerson. Seine theologia mystica et negativa mit ihrem rationalistisch verdünnten Mystizismus speist die ihrige. Sie bemühen sich um Gersons weniger bekannte Werke. Geiler macht eine Pilgerfahrt nach Frankreich an die Stätten seines Wirkens, und der Elsässer Kreis besorgt eine erste Gesamtausgabe seiner Schriften. Aber sie haben darüber hinaus ein bestimmtes Ideal der Reform des geistlichen Standes und des ganzen geistlichen Lebens. Sie betrachten diese Reform in erster Linie als Bildungsreform. Daher das Zurückgreifen auf die Kirchenväter, in beschränktem Maße auch auf die Bibel selbst. Daher die Auseinandersetzung mit den neuen Mitteln der humanistischen Rhetorik und Poetik, die bei Wimpfeling zu einem im Grunde ganz altmodischen „Neuen Weg“ der Bildung führt[2]. Dazu kommt ein lebendiger Patriotismus, der aus der jetzt zuerst stark empfundenen Grenzlage des Elsaß erwächst. Von da aus wird für diese Richtung Karl der Große als Deutscher wichtig. Endlich führen nie ganz abgerissene Fäden zur alten Mystik, Tauler lebt wieder auf. Aber vielleicht das Wichtigste ist die starke Berührung mit der Zeit und ihrem Leben. Aus dieser formt Geiler die lebendigen Menschentypen seiner Predigt, Brant ordnet sie zu einer primitiven Weltschau, Wimpfeling, ein chaotischer Kopf, hat doch eine Witterung für alle Zeitfragen und versteht sie agitatorisch zu gestalten.

Wir bemerken hier gleich einen Umstand, der diesen deutschen Humanismus nicht nur von dem italienischen unterscheidet, sondern ihn auch aus dem Begriff des Humanismus, den ich aufgestellt habe, herausfällen läßt. Es kann keine Rede davon sein, daß hier die

  1. Das Beste noch immer bei Charles Schmidt, Hist. liter, de l’Alsace. 2 Bde. Paris 1879. Dacheux, Geiler, und Knepper, Wimpfeling sind Rückschritte.
  2. Über den Isidoneus fehlt trotz mancherlei Bemühungen der pädagogischen Literatur eine genügende Arbeit.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)