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gar eine deutsche Form des kirchlichen Lebens lösen. – Für alle diese Hoffnungen gibt es Ansätze in Bestrebungen und Entwürfen Maximilians selbst. Unter ihnen verdienen die phantastischen Religionsvorstellungen an seinem Hofe unsere besondere Aufmerksamkeit. Wir wissen jetzt durch die tiefgrabenden Forschungen von Giehlow, Saxl und Panofsky[1], daß auch hinter der wirren Allegoristik der großen Holzschnittfolgen, die Max als eine zweite Darstellung seines Lebens und seiner Taten veranlaßte, eine bestimmte Ideenwelt steckt. Daß hier die ägyptische Hieroglyphik, in der pythagoreisches Gedankengut mit orientalischer Mystik gemischt worden war, ihren Niederschlag gefunden hat. Um die Bedeutung dieser Dinge richtig einzuschätzen, muß man beachten, daß sich in derselben Welt auch Johann Reuchlin bewegt, der damals, in der Zeit der Hochblüte der deutschen humanistischen Romantik, als das eigentliche Haupt der Humanisten galt. Reuchlins Wiederbelebung des Hebräischen, nur von einem Teil der Humanisten ohne Bedenken aufgenommen, sollte ihm doch nicht bloß den Zugang zu dem Urtext des alten Testaments, sondern vor allem das Verständnis des „wundertätigen Worts“ erschließen, das in Wirklichkeit ein wundertätiges Zeichen war. Aus ihm sollte sich – das sprach das große Vorwort zu Reuchlius wissenschaftlichem Hauptwerk ’De arte cabbalistica’ aus – eine neue pythagoreische Philosophie erheben. Reuchlin gedachte sie neben die von den Florentinern neu geschaffene platonische und neben die von den Franzosen erneuerte aristotelische als eine dritte und zwar als eine eigentlich deutsche zu stellen[2]. – In der Tat hätten sich hier die phantastischen und mystischen Regungen des deutschen Geistes mit der humanistischen Gedankenwelt eigentümlich verbinden können. Es wäre die letzte Vollendung der humanistischen Romantik geworden, eine deutliche Fortbildung der „Druidenreligion“ des Celtis, nur ausgeweitet zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit den großen antiken Bildungssystemen und deshalb der ganzen Bewegung doch

  1. K. Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus und die Allegorien der Renaissance an der Ehrenpforte Maximilians (Jahrbuch der Kunstsammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 32 [1915], Heft 1). Saxl-Panofsky, Dürers Melencolia I (Studien der Bibliothek Warburg) 1923.
  2. Italiae Marsilius Platonem reddidit, Gallis Aristotelem Jacobus Faber Stapulensis restauravit. Implebo numerum et Capnion ego Germanis per me renascentem Pythagoram ... exhibebo.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)