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kurzen Weg zu Gott, den alle Mystiker gesucht hatten, sie will diesen Weg den Menschen, die guten Willens sind, leicht, nicht schwer machen. So zeigt ihn das Enchiridion militis christiani. Dieser christliche Streiter, den man doch wohl zu Unrecht auf dem berühmten Stich Dürers wiederzufinden geglaubt hat, hat mit Tod und Teufel sehr wenig zu tun. Seine Furchtlosigkeit ist nicht die des Kämpfers, der sich bedroht fühlt, sondern die des Weisen, der den Kampf mit sich selbst hinter sich gebracht hat und nun andere die „Kunst der Frömmigkeit“ lehren will. Es ist eine Imitatio Christi, bei der von dem Kreuz Christ fast nicht die Rede ist.

Aber diese christliche Philosophie des Erasmus befriedigt zugleich alle Ansprüche einer ästhetischen Bildung im Sinne der Zeit. Sie ruht auf philosophischer Gelehrsamkeit und strebt nach ästhetischer Schönheit und Würde. Wiederum ist dafür der Epicureus besonders bezeichnend. – Sodann aber: diese Philosophie vereinigt die gesamten aufklärerischen Tendenzen der Zeit und beraubt sie doch ihrer persönlichen Ressentiments. Das Lob der Torheit ist nicht eine Satire auf die Erscheinungen menschlicher Torheit, wie sie Brants Narrenschiff und die Wimpfeling-Reuchlinschen Komödien boten, sondern ein großartiger Versuch, die Torheit als das irrationale Element des Weltlaufs zu begreifen und von da aus die Welt vernünftig anzusehen, damit sie uns auch vernünftig ansehe. Sehr bezeichnend aber, daß Erasmus die Absicht hatte oder wenigstens später als seine Absicht erklärt hat, der laus stultitiae eine laus naturae und dieser eine laus gratiae folgen zu lassen[1]. Das Stufenreich des Aquinaten in der erasmischen Sicht.

Aber ebenso kommt nun die erasmische Philosophie dem kritischen antikirchlichen Geist entgegen. Wo war der Gegensatz gegen die scholastischen Quisquilien, in denen ein Teil des theologischen Betriebs aufging, gegen das müssiggängerische Mönchstum, gegen Volksaberglauben und Priestertrug, gegen die in Zeremonien aufgehende Religion überhaupt schärfer herausgestellt als in diesen glänzenden Pamphleten, mit denen Erasmus seinen Ruhm erreichte? Aber auch in den Paraphrasen zum Neuen Testament und in dem berühmten Methodus tritt derselbe Geist einer innerlichen

  1. So in dem Lebensabriß von 1523 Allen I, 8. 19: Conceperam id temporis animo tres simul declamationes, Encomium Moriae, Naturae et Gratiae: sed quorundam morositas fecit ut verterem consilium. – Für die Idee des miles christianus bei Erasmus bes. Huizinga S. 218, Anm. 54.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_040.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)