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gescheitert bezeichnet werden. Er hat nur das eine Gute gehabt, daß er die Huttenforschung neu belebt hat und daß wir jetzt durch Hajo Holborn eine heutigen Ansprüchen genügende Biographie dieses merkwürdigen Menschen bekommen haben, die die alte, in ihrer Art immer noch bewundernswerte von D. F. Strauß ersetzt[1]. Alles Wesentliche ist wohl jetzt ziemlich klar.

Was Hütten als Persönlichkeit für den unbefangenen Beobachter immer anziehend machen wird, das ist die Einheit von Leben und Wirken. Gewiß, er hat die kurzen, ihm zugewiesenen Lebensjahre durchstürmt. Daß er mit 35 Jahren gestorben ist, sollte man nicht vergessen; eine Natur wie die seine hätte, um auszureifen, viel längere Zeit gebraucht. Und sein Leben ist das eines Abenteurers gewesen. Er hat niemals aufgehört, der fahrende Ritter zu sein; daß er damit Sitten und Lebensführung des fahrenden Poeten verbunden hat, ist ihm nicht gerade zum Vorteil geworden. Aber er ist kein Ritter gewesen, der der Fortuna nachzieht, sondern sein Leben ist ein Kampf mit der Fortuna. Und sein Poetentum ist nicht bloß lyrische Formung eines Lebensinhalts, wie sie etwa Celtis gelingt, – Hutten war kein Dichter, – sondern das Ringen um eine Norm. Und hier zeigt sich die Bedeutung der humanistischen Geisteshaltung überhaupt aufs Deutlichste. Denn was ist es schließlich, was das Leben Huttens über das eines Götz von Berlichingen, aber auch über das eines Sickingen erhebt? Doch nichts anderes als daß er dem Begriff der deutschen Freiheit, die zunächst nichts als die zuchtlose Unbotmäßigkeit des deutschen Adels war, einen höheren geistigen Inhalt zu geben sucht. Die Stufen, in denen sich das bei ihm vollzieht, können wir zeigen. Ich nenne sie nicht ganz in der zeitlichen Reihenfolge, sondern versuche einen inneren Aufbau. Da sind zunächst die Eindrücke seiner beiden Italienfahrten. Sie sind ganz anders als sonst die der nach Italien fahrenden Humanisten. Sie fallen in die Zeit der Kämpfe Maximilians mit Franzosen und Venezianern und geben dem romantischen Patriotismus Huttens Richtung und Farbe. Dazu aber kommt zugleich die Anschauung des päpstlichen Hofes unter Julius II. und Leo X. Huttens Kampf gegen die „Romanisten“ beginnt. Die deutsche Einfalt und der

  1. Hajo Holborn, Ulrich von Hutten (Leipzig, Quelle u. Meyer 1929). Daselbst auch Aufschluß über die bisherige Forschung und die Quellen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)