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Kreaturen. Gott hat ihn zugelassen, damit wir seine Gerechtigkeit auch an Beispielen der Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit sehen. – Eben dadurch aber wird Zwingli auch genötigt, die Erlösung zu einem Teil des göttlichen Schöpfungsplans, zu einem Urratschluß Gottes zu machen. Ich brauche für das Ganze dieser Konzeption nur an das Proömium von Klopstocks „Messias“ zu erinnern.

Und nun hören wir noch den Satz, in dem Zwingli seine Ansicht über die göttliche Vorsehung zusammenfaßt. Er lautet: „Wem es vergönnt ist, die Werke der Vorsehung tiefer zu betrachten, gute Götter, welche Freude wird dieser empfinden, wenn er überall die Güte und Weisheit Gottes wahrnimmt, so daß die Betrachtung der ganzen Welt, so schön sie ist, ihren Reiz verlieren muß, gegenüber dem Entzücken, das uns übermannt, wenn wir zu Gott emporsteigen und den Baumeister der ganzen Welt betrachten.“ Wir haben den amor intellectualis Dei des Spinoza. Zwingli hätte sich nicht noch ausdrücklich zu dem erasmischen Glauben an die frommen Heiden des Altertums, an die Christen vor dem Christentum, Sokrates, Plato usw. zu bekennen gebraucht, um uns dieses humanisierte Christentum in seinem Wesen zu zeigen. —

Auch Melanchthon ist Erasmianer gewesen, als er nach Wittenberg kam[1]. Er hat seine Professur des Griechischen dort mit einer Rede über die Verbesserung der Jugendbildung angetreten, die ein rein humanistisches Programm ist. Es gibt nur einen Weg zu allem Großen, das sind die Humanitätsstudien. Sie sind die wahre Philosophie und diese hat zum Inhalt die Kenntnis der Natur, der Grundlagen der Sittenlehre und der großen Muster der Sittlichkeit. Humanität ist also, wie die Antrittsrede deutlich sagt, zugleich Sittigung und Naturerkenntnis. Sie ist eben „Bildung“ in dem Sinne, den der Humanismus in einundeinhalb Jahrhunderten erarbeitet hat. Dann aber erfährt Melanchthon durch Luther eine Bekehrung zu Paulus und zu seiner Rechtfertigungslehre. Die Bekehrung muß stürmisch verlaufen sein, den ganzen, von Natur weichen Menschen umgewälzt haben. Melanchthon sieht nun seine nächste Aufgabe darin, die Überzeugung Luthers, daß die Schrift immer und überall von nichts anderem handelt, als von Sünde und Gnade, Gesetz und Evangelium, systematisch darzustellen. Das

  1. Für das Folgende muß ich auf meinen oben zitierten Aufsatz über die Loci communes verweisen, wo die Belege stehen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)