Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/106

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den Eindruck von Geisterchören, welche den Manen jener Unsterblichen mystische Hymnen singen. – In Weimar sahen wir auch die großherzogliche Gruft, welche sich in der Kapelle auf dem Begräbnißplatze befindet. Hier stehen die Särge Schiller’s und Göthe’s neben denen des deutschen Augustus und dessen Gemalin, und es ist schwer zu sagen, wer durch diese Vereinigung am meisten geehrt ist.

Von hier reisten wir über L. nach D. Meine Rührung, als ich nach einer Abwesenheit von beinahe zehn Jahren die Thürme D.’s[WS 1] wiedersah, läßt sich schwerlich beschreiben. Ich hatte meiner Familie noch von Weimar aus geschrieben, und sobald ich Fräulein M. bequem im Hotel de France eingerichtet sah, eilte ich sogleich zu meinem ältesten Bruder, der in seiner Stellung als Beamter noch den Beruf eines Schriftstellers und Musikers mit vieler Auszeichnung bekleidete. Bei ihm fand ich meine Eltern[WS 2], die mich mit der innigsten Zärtlichkeit empfingen. Es war eine rührende Scene voll Freudenthränen. Dem Wunsche der Miß gemäß stellte ich ihr die anwesenden Glieder meiner Familie vor, und es war mir sehr angenehm, daß sie sich sogleich mit meiner Schwägerin[WS 3] befreundete, deren Schönheit und feine Sitte sie ungemein ansprach. Diesem Umstande hatte ich den Vortheil zu danken, daß ich auf einige Tage Urlaub erhielt. Meine Eltern und ich fuhren am andern Morgen nach den zwei reizend gelegenen Dörfchen[WS 4], welche jene leider in Trennung bewohnten. Dort wurde ich von den Freunden mit einem Jubel empfangen, der meinem Herzen unendlich wohl that. Meine guten Eltern waren unermüdlich in ihren Freudenbezeigungen und Liebkosungen; sie bewunderten Alles an mir, zeigten mir eine Menge Dinge, die mir früher gehört hatten und die sie wie Reliquien aufbewahrten. Mir that es unendlich wohl, mein Herz einmal ausschütten und den Meinigen alle die traurigen Schicksale erzählen zu können, die ich ihnen aus Schonung seither verschwiegen. Am folgenden Morgen versammelten wir uns schon in aller Frühe beim Morgen-Imbiß, nach welchem wir uns auf den Weg machten, um meiner jüngsten Schwester[WS 5] einen Besuch zu machen. Sie war in der Nähe an einen Lehrer verheirathet und mein Vater sagte mir, daß ihre drei kleinen Töchterchen sich täglich auf die „englische Tante“ freuten, welches meine Zärtlichkeit für sie um Vieles vermehrte. Nach einer zweistündigen Fahrt waren wir am Ziele, aber welches freudige Staunen bemeisterte sich meiner, als wir ausstiegen und meine Schwester als eine

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dresdens
  2. Carl Steinmann und Friedericke Steinmann geb. Endler
  3. Auguste Friedericke Steinmann geb. Geißler
  4. Kreischa und Markersbach bei Bad Gottleuba
  5. Caroline verehelichte Thalheim, wohnhaft in Reinholdshain