Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/108

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Schmerz, als sich im Unglück glücklicher Zeiten zu erinnern! – Der Tag, der zu unserer Abreise bestimmt war, erschien nur zu früh und erfüllte unsere Herzen mit bitterem Kummer, den ich mit Stillschweigen ehren will. Unsere Reise ging über L. nach H., wo wir eine kolossale Ehrenpforte passirten, die der Braut des Kronprinzen von Baiern, geborenen Prinzessin von Preußen, zu Ehren errichtet worden war. Ueberall herrschte Festlichkeit und Freude, selbst unser Postillon ergoß sich in Lobreden und Glückwünschen für das königliche Paar. Wir waren vielleicht die einzigen Mißmuthigen in ganz H., und zwar deswegen, weil der König von Preußen den ganzen Gasthof gemiethet hatte, den wir zu unserem Absteigequartier ersahen, und wir nun mit einer sehr einfachen Bewirthung im zweiten Hotel der guten Stadt vorlieb nehmen mußten. Als wir am folgenden Tage weiter reisten, bemerkten wir einen langen Zug Equipagen und Miethwagen, welcher sich feierlich auf einem Feldwege nach der Chaussee bewegte; wir dachten ihn mit den Feierlichkeiten des fürstlichen Brautpaares im Zusammenhange, aber unser Postillon fragte mit charakteristisch deutscher Neugierde im Vorüberfahren einen Kutscher, von dem er erfuhr, daß man einen geliebten Seelsorger nach seiner neuen Pfründe geleite. Das war das zweite Beispiel deutscher Treue seit gestern, was Miß M. sehr hervorhob und bewunderte. Das eintretende Regenwetter verhinderte uns, die Gegend, welche wir durchreisten, zu übersehen, und so erreichten wir Kassel, ohne etwas Erhebliches zu erblicken als die Bäume an der Landstraße. Wir hatten uns auf Hessen mit aller Resignation gefaßt gemacht, denn wer kannte nicht das märchenhafte Glück dieses Landes; um so überraschter mußten wir uns fühlen, als wir in Kassel nicht mehr als Alles loben mußten, denn wir fanden schöne Zimmer, ausgezeichnete Bewirthung, eine schöne Stadt und liebe Leute. Erstere ist größten Theils neu, regelmäßig und geschmackvoll, der Menschenschlag von edler Gesichtsbildung, gutmüthig und fröhlich.

Zuerst besuchten wir das churfürstliche Sommerschloß Wilhelmshöhe, das von seinem Berge herab einen großartigen Ueberblick der ungemein schönen Umgegend gewährt. Das Gebäude selbst wie seine Einrichtung und Gartenanlagen gehören zu den üppigen und phantastischen Erzeugnissen des siebenzehnten und theilweise achtzehnten Jahrhunderts und enthält eine Mischung von gutem und schlechtem Geschmack, viel Eleganz und Reichthum. Die vielen Statuen, Statuetten, Wasserkünste und