Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/112

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die Männer mich reizend fänden. Gewiß war, daß vier Monate des süßen Nichtsthuns unter dem wohlthätigen Einflusse des Reisens verbracht, eine sehr vortheilhafte Veränderung in meiner Gesundheit und meinem Aeußern bewirkt hatten, und da ich die Empfindungen der andern Mädchen theilte, so war ich nicht unempfindlich gegen die Eingebungen meiner vermeintlichen Freundin. Miß Ch. machte mich unter anderen auf einen jungen Arzt Namens R. aufmerksam, welcher nebst seiner Mutter, einer wohlhabenden Wittwe, angeblich Aeußerungen gethan hatte, welche auf große Zuneigung schließen machten. Ich sprach meinen Zweifel darüber aus, daß ein junger Mann, der die Auswahl unter vermögenden Mädchen hatte, ein unvermögendes heirathen sollte; allein die Ch. führte viele Beispiele davon an und versicherte mich, daß ich nur zu wollen brauche, um eine gute Parthie zu machen. Von nun an gehörten Herr R. und seine Mutter zu unsern beständigen Besuchern, und oft trafen wir sie bei andern Bekannten, wobei ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise mir zugewandt war.

Auch führte mich Miß Ch. in die Familie des Majors C. ein, und die achtungsvolle Herzlichkeit, mit welcher man mir entgegen kam, that mir um so wohler, als kein eigennütziges Motiv zu Grunde liegen konnte. Kein Wunder, daß sich bald ein herzliches Verhältniß zwischen den drei liebenswürdigen Töchtern des Hauses und mir entspann. Wir musizirten mit einander, und spazierten oft, während wir uns in fremden Sprachen unterhielten, was einer wie der andern viele Freude machte. Zwei derselben waren Bräute, und diese machten mich zu ihrer Vertrauten und Rathgeberin, wodurch unsere Herzen wirklich noch enger verbunden wurden.

Eines Nachmittags trat Rosa, eine reizende Brünette von achtzehn Jahren, strahlender als gewöhnlich in mein Zimmer. Sie war mit einem Advokaten verlobt und ich fragte sie daher, ob das Ziel ihrer Wünsche, der Hochzeitstag, festgestellt sei?

„Es handelt sich gegenwärtig nur um einen Ball, antwortete Rosa, aber Sie wissen, daß Bälle Ereignisse sind im Leben der Liebenden, nach denen man die Phasen seines Glückes berechnet, und manches für unverwundbar gehaltene stolze Herz ward dort von Amors Pfeilen getroffen, und wiederum manches, was schon alle Hoffnung auf Gegenliebe quittirt hatte, erlangte noch seiner Wünsche Ziel vermittelst eines Balles.“