Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/135

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damit zufrieden erklärte, bat sie mich um die Adressen meiner patronisirenden Damen, und entließ mich sehr verbindlich.

Ich ging von dem Gedanken aus: die Stelle ist in London, wo jederzeit eine andere zu finden ist, wenn sie dir nicht entspricht; und weil mir viel daran lag, meinen Ruf zu sichern und eine geschützte Stellung zu haben, so empfahl ich mich der Lady, nachdem sie mir versprochen hatte, ihren Entschluß ehebaldigst mir mittheilen zu wollen.

An einem der nächsten Abende hatte Fräulein Ch. einige ihrer Bekannten zum Thee geladen, darunter ein junger Portugiese, den sie erst unlängst hatte kennen lernen. Er hatte Herrn v. T. genau gekannt und erzählte uns von seiner einflußreichen Stellung unter Dom Miguel, seiner Gefangenschaft und endlichen Transportation nach dem todathmenden Mozambik. Alle Fragen, die wir an ihn richteten, beantwortete er, obwohl v. T.’s politischer Gegner, doch in einer Weise, daß ich in diesem einen Märtyrer erblickte und wo möglich noch mehr für ihn enthusiasmirt wurde. Unterdessen rückte der Abend immer weiter vor, und zum ersten Male ließ v. T. vergebens auf sich warten. Ich fühlte mich in hohem Grade beängstigt, denn es war einer jener nebeligen Abende, an denen trotz der trefflichen Beleuchtung die schrecklichsten Unglücksfälle stattfinden, und da v. T. sehr schwaches Gesicht hatte, so war meine Besorgniß nicht grundlos. Der Abend verging mir unter unsaglicher Angst, v. T. kam nicht, und die kleine Gesellschaft entfernte sich, uns den traurigsten Vermuthungen überlassend.

Der nächste Tag war ein Sonntag, ich erhielt des Morgens schon ein Billet von meinem Verlobten, worin er mir anzeigte, daß er durch einen heftigen Gichtanfall verhindert worden sei, uns zu besuchen, und mich zugleich bat, an seinem Krankenlager auf einige Minuten zu erscheinen, denn dies werde ihm zum Troste gereichen. Ich theilte Miß Ch. den Inhalt des Billets mit, worauf sie sogleich vorschlug, denselben Nachmittag bei ihm vorzusprechen, was mich ihr sehr verband.

Wir fanden Herrn v. T. zu Bette liegend und so von Schmerzen entstellt, daß ich einen Augenblick zweifelte, ob er es wirklich sei, denn er schien fünfzehn Jahre älter als sonst, wo Halsbinde und Kragen seinem Gesicht eine gewisse Festigkeit und Fülle verlieh; jetzt hingen seine welken Züge schlaff herab und eine Unzahl Runzeln an Gesicht und Hals traten grell hervor, sein mattes Auge, durch keine Brille beschirmt und unterstützt, blickte mich aus den tiefen dunkeln Höhlen jammervoll an.