Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/76

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gegen sie und beunruhigte mich durch die unzartesten Mittheilungen über ein Verhältniß, welches ich am liebsten unerwähnt gelassen hätte. Es entstand dadurch in meinem Gemüth ein fortwährender Kampf der verschiedenartigsten Gefühle, denn sobald John’s Mutter und Schwestern meine gute Meinung von ihm durch Hervorhebung seiner Tugenden wieder aufgebaut hatten, wenn es ihnen selbst gelungen war, meinen Glauben an die Wahrheit seiner Gefühle wiederherzustellen, zertrümmerte Frau W. beides wieder, so daß ich mich endlich entschloß, meiner Qual ein Ende zu machen und die Familie S. zu verlassen. Ach, es ward mir unendlich schwer, meinen Plan auszuführen, denn außer jenem traurigen Verhältniß gab es nichts in meiner Stellung, was mich nicht beglückt hätte. Mistreß S. bot alles auf, mir meine Familie durch die ihrige zu ersetzen, und ich mußte, wenn ich nicht undankbar scheinen wollte, wieder an den geselligen Kreisen Theil nehmen[WS 1]. John sang dann jedesmal mit seiner schönen Stimme Liebeslieder, welche tief und mächtig in meinem Innern wiederhallten, und seine Blicke versicherten mich, daß sie mir gälten. Bisweilen überraschte er mich mit einem zarten Beweise der Aufmerksamkeit, und schien beglückt, wenn ich dabei erröthete. Ein oder zwei Mal fand er mich in Thränen und schien dann heiter und zufrieden. Eines Tages, als ich wieder nach Tansor kam, machte mir Mistreß W. Mittheilungen, die mich in meinem Entschlusse vollkommen befestigten. Auch theilte sie mir mit, daß ich durch mein Zögern, die Familie S. zu verlassen, Anlaß zu Mißtrauen gegeben hätte, und daß man im Begriffe sei, Anna einstweilen nach Paris zu bringen. Alles dieses verleidete mir mein Leben so schrecklich, daß ich die erste Gelegenheit benutzte und meine Stelle kündigte. S.’s waren äußerst bestürzt darüber und versuchten Alles, mich von meinem Vorsatz abzubringen, allein ich beharrte darauf, weil ich fühlte, daß ich dieses Leben nicht fortsetzen konnte.

Die darauf folgenden drei Monate machten mir diese Familie wo möglich noch theurer, denn es verging kein Tag, an dem sie nicht unsere bevorstehende Trennung beweinten und Alles aufboten, um mich aufzuheitern. Als die Scheidestunde gekommen war, mußte ich ihren thränenreichen Bitten um längeres Verbleiben die Erklärung entgegenhalten, daß ich einer traurigen Nothwendigkeit weiche, worauf mir Madame S. eine bedeutende Geldsumme und jedes Familienglied ein Liebeszeichen schenkte. Der Abschied von diesen edeln und liebevollen Menschen war

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nahmen