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jung und gleich hübsch, Tussy hatte sogar sehr lustige, übermütige Augen und Anni stellte mehr den ernsten deutschen Gretchenschlag mit etwas schwärmerischem, verträumtem Lächeln dar, jedenfalls konnte man sich nicht recht vorstellen, daß eins dieser harmlosen jungen Mädchen, die sich ihr Brot als Modellzeichnerin und als Schriftstellerin für ein Modenblatt verdienten, uns auch nur im geringsten belügen würden.

„Was ich Ihnen geschrieben habe, Herr Harst“, erklärte die dunkeläugige Tussy, die zugleich auch offenbar die energischere war, mit allem Nachdruck, „ist wortwörtlich richtig, so seltsam die Geschichte auch klingen mag. Wir waren in Geldverlegenheit, wir haben darüber nur unter uns gesprochen, und gestern erhielten wir hundert Mark zugestellt, und dafür fehlten uns die Schmucksachen, die wir versetzen wollten, wie wir das genau vereinbart hatten; Anni wollte ihr Armband hergeben und ich eine altertümliche dicke Uhrkette.“

Harst nickte und betrachtet seinen Hut: „Ja, das schrieben Sie mir. Und wo lagen die Schmucksachen?“

Tussy Grütt wurde plötzlich sehr ernst. „Das wollte ich dem Briefe doch nicht anvertrauen. Wir hatten ein Versteck gefunden, das wir für völlig sicher hielten.“ – Sie erhob sich, schritt zum Fenster und deutete auf den unter dem Fensterbrett angebrachten Regenkasten, der sonst kaum mehr in Neubauten zu finden ist. Sie zog den sehr sorgfältig eingebauten Zinkblechkasten heraus, der vorn mit Tapete überklebt und lackiert war, faßte in die Öffnung hinein und brachte so einen Ziegelstein zum Vorschein: Es war kein Ziegelstein, sondern ein Metallkästchen, das in der Farbe und dem sonstigen Aussehen vollkommen einem halben Ziegel glich. – Wer also in die Öffnung hineinschaute, mußte glauben, daß der Stein die natürliche Rückwand der Öffnung bildete.

Harst nahm das Stahlkästchen mit einem Kopfschütteln

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Der Bluffer. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1934, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Bluffer.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)