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Walther Kabel: Der Donnerbart. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 9, S. 236–238

vor Feuers- und Blitzgefahr. Der aufgeklärte Kaiser wollte von solchen Aberglauben nichts wissen, ließ aber die Sache näher untersuchen und fand so heraus, daß auch in dieser abergläubischen Vorstellung ein Körnchen Wahrheit ruhte. Denn das grüne Kräutlein, das die Neigung hat, auf den Dächern große, stets feuchte Polster zu bilden, beseitigte tatsächlich den größten Teil der Feuersgefährlichkeit der Strohdächer dadurch, daß es jeden darauf fallenden glimmenden Funken in seinen saftreichen Blättern erstickte.

Nach dieser Feststellung erließ Karl der Große eine Verordnung, in der sämtlichen Besitzern von mit Stroh eingedeckten Häusern unter Androhung einer hohen Geldstrafe für den Fall der Nichtausführung anbefohlen wurde, den Donnerbart auf den Dächern anzupflanzen. Mit dem Samen der nun plötzlich so vielbegehrten Pflanze trieb der Staat selbst einen schwunghaften Handel.

Es konnte nicht ausbleiben, daß dem Donnerbart nach diesem kaiserlichen Erlaß bald auch in Deutschland von dem unwissenden Volke alle möglichen übernatürlichen Eigenschaften angedichtet wurden. So sollten Tiere unter einem mit Donnerbart überzogenen Dach gegen jede Krankheit, besonders aber gegen den bösen Blick gefeit sein, während die zerquetschten Blätter Brandwunden heilen und Warzen vertreiben sollten. Ein Aufguß von den getrockneten Blüten galt als Mittel gegen die Auszehrung, wurde auch in Pestzeiten von Wunderdoktoren vielfach verordnet.

Auch aus späteren Jahrhunderten finden sich viele Erlasse von Fürsten und Städten, die die Anpflanzung des Donnerbarts zur Pflicht machen. Unter diesen alten Urkunden zeichnet sich eine durch ihre ausführliche Begründung der Absichten dieser Verordnung vorteilhaft aus. Sie wurde unter dem Grafen Eberhard V. von Württemberg am 14. Dezember 1482 bekannt gegeben, an jenem für die Geschichte Württembergs insofern äußerst wichtigen Tage, weil an ihm durch den Münsinger Vertrag die Unteilbarkeit des württembergischen Landes und die Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt festgesetzt wurde.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Donnerbart. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 9, S. 236–238. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Donnerbart.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)