Seite:Der Doppelgänger.pdf/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

„Hören Sie, Herr Doktor, Ihre Fähigkeiten in Ehren! Aber daß Sie heute mit Ihren besonderen Theorien fehlgreifen, das müssen Sie doch wohl einsehen! Die Sachlage ist so klar …!“

„Meinen Sie, Herr Kommissar?“ sagte Werres mit offensichtlichem Spott. „Hoffentlich bringt Ihnen diese klare Sachlage nicht bald unangenehme Überraschungen …“ Da mischte sich auch der Staatsanwalt ein. „Ich möchte Sie doch bitten, Herr Dr. Werres, Ihre etwaigen Einwendungen gegen diesen sich bisher lediglich auf den Baron konzentrierenden Verdacht im Interesse der Untersuchung ohne Umschweife anzugeben!“

Werres erwiderte mit derselben Gelassenheit, indem er den Kommissar ernst ansah: „Ich möchte Sie nur daran erinnern, Herr Kommissar, daß meine Theorien, wie Sie es zu meinen belieben, sowohl bei der Entdeckung der Falschmünzerbande in Wermersdorf als auch bei der Aushebung des Diebs- und Hehlernestes in der Hökergasse anfangs ebenso angezweifelt wurden. Und wer nachher recht behielt, das werden Sie wohl auch noch wissen!“ – Der Kommissar wurde verlegen, und der Staatsanwalt schaute erstaunt auf.

„Herr Dr. Werres war also bei der Untersuchung in diesen beiden letzten Hauptaffären beteiligt?“ fragte Hübner den Kommissar. „Nicht nur beteiligt,“ sagte dieser ehrlich, „sondern … eigentlich ist es das alleinige Verdienst unseres Herrn Hilfsarbeiters, daß wir die beiden Schwefelbanden so schnell festmachen konnten.“

„So so“ – meinte nachdenklich der Staatsanwalt. Er schien doch jetzt langsam einzusehen, daß hinter diesem ironischen Lächeln mehr zu suchen war, als nur unhöfliche Wichtigtuerei. Und nach einer Weile fragte er Werres beinahe zuvorkommend: „Also Sie meinen wirklich, Herr Doktor, daß der Baron von Berg nicht der Mörder ist?“

„Der Baron ist ebenso unschuldig und unbeteiligt an der Tat, wie Sie und ich, Herr Staatsanwalt,“ erwiderte Werres bestimmt. „Die Beweise für diese meine Behauptung werden sich noch heute von selbst ergeben. Für die Person des wahren Mörders habe ich bisher keinerlei Anhaltspunkte, werde sie aber wohl noch finden. Ich möchte nur an Sie, Herr Staatsanwalt, die Bitte richten, bei der nun folgenden eingehenden Vernehmung der Angestellten der Bank bisweilen einige Fragen stellen zu dürfen – ebenso auch, daß die Betreffenden in unauffälliger Weise so gesetzt werden, wie ich es nachher vorschlagen möchte. Für letzteres habe ich meine ganz bestimmten Gründe.“

„Bitte, sehr gern, Herr Doktor, Ihre Wünsche sollen in jeder Weise berücksichtigt werden. Auch ich hätte jedoch eine Bitte: Wollen Sie uns nicht erklären, weshalb Sie jeden Verdacht gegen den Baron so bestimmt zurückweisen?“

„Ich habe keinen Grund, aus meinen Kombinationen ein Geheimnis zu machen, die allerdings, wie ich zugeben muß, mehr diesem, jedem Kriminalisten wohl eigenen sechsten Sinne entspringen als einer klaren Beweiskette. Zunächst habe auch ich an den Baron als den Täter gedacht. Dann aber fand ich bei der Durchsuchung dieses Zimmers auf dem Schreibtisch ein Blatt Papier, das Herr Friedrichs anscheinend kurz vor seiner Ermordung noch mit verschiedenen Zahlen und Daten beschrieben hat. Dort liegt es. – Die Tinte war erst vor kurzer Zeit getrocknet – also muß der Bankier in den letzten Minuten seines Lebens diese Aufzeichnungen gemacht haben. Das Papier enthält eine genaue Übersicht über das Vermögen des Herrn Baron von Berg – und daraus ersah ich, daß das Barvermögen des Barons sich auf Millionen beläuft. Und weiter fand ich in der dort liegenden Briefmappe ein an den Bankier gerichtetes Schreiben, datiert vom 16. April dieses Jahres und unterzeichnet mit von Berg. In diesem Schreiben bittet der Baron den Bankier, für ihn zum 19. des Monats eine Summe von 150 000 Mark – davon 10 000 in Hundertmarkscheinen und den Rest in Banknoten à 500 und 1000 Mark – bereit zu halten, da er das Geld an diesem Tage gebrauche. Diese beiden Entdeckungen sagten mir, daß ich mich auf einer falschen Fährte befinden müsse. Denn zunächst fehlt, nehmen wir den Baron von Berg als Täter an, für die Tat jedes Motiv. Ein mehrfacher Millionär, dessen Bankguthaben sich allein auf weit über eine Million beläuft, begeht wegen einer Summe von 150 000 Mark keinen Raubmord. Dann weiter! Wäre der Baron der Mörder, so hätte er wohl seit jenem Briefe vom 16. dieses Monats, in dem er um Bereitstellung der besagten Summe bittet, nach einem wohl überlegten Plane gehandelt, um sich auf dem Wege des Verbrechens in den Besitz der Summe zu setzen: Dieser Plan – man bedenke zunächst den kompromittierenden Brief selbst, sodann auch die Unmöglichkeit, hier ungesehen einzudringen, was der Baron als langjähriger Kunde des Bankiers sehr wohl wußte – wäre aber in seinen einzelnen Momenten derart töricht zusammengestellt, daß dieses geradezu kindisch unvorsichtige Vorgehen mich nicht nur stutzig machte, sondern mir sogar der beste Beweis war, daß ich mich geirrt hatte. Schon diese auffallende Sicherheit, mit der sämtliche Spuren nach der einen Richtung hinwiesen, hatte mich von Anfang an unsicher gemacht. Dann, als ich jene beiden Schriftstücke auf dem Schreibtisch fand, und die eben entwickelten Überlegungen ohne jede Voreingenommenheit anstellte, kam ich zu der Überzeugung, daß der Baron der Täter nicht sein könne, trotzdem ja anscheinend mehr als erdrückende Verdachtsgründe gegen ihn vorliegen.“

Jetzt war es an dem Kommissar, das Gesicht zu einem überlegenen Lächeln zu verziehen.

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)