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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

irgend einen Verdacht? … Sprechen Sie sich ganz offen aus, denn die anwesenden Herren sind zum Schweigen unbeteiligten Personen gegenüber verpflichtet.“ – Der Prokurist schien erstaunt. – „Ja … einen Verdacht?“ – meinte er eifrig – „gewiß, den habe ich … das wissen Sie ja auch schon, Herr Kommissar. Als Täter kann ich doch nur eine …“ – Richter fiel ihm ins Wort … „Danke, Herr Westfal …! – Weiter hätte ich nichts,“ wandte er sich zu Hübner. Dieser sah nach Werres hin, der sich an die nach dem Privatkontor führende Tür gelehnt hatte und in ein kleines Taschenbuch sich Notizen machte[1]. Er schien die in dem Zimmer eingetretene Stille nicht zu bemerken und schaute nicht auf. Da fragte Hübner: „Herr Dr. Werres, hätten Sie noch eine Frage an den Herrn Prokuristen zu richten?“

Werres verneigte sich nur gegen den Staatsanwalt und kam nun langsam auf den Prokuristen zu. Vor ihm stehen bleibend und scheinbar die Spitzen seiner Stiefel angelegentlichst musternd, meinte er in gleichgültigstem Tone: „Herr Westfal, würden Sie mir wohl angeben können, wie hoch die Gehälter Ihrer Angestellten sind?“ – Während der Prokurist nun, mit der eigenen Person beginnend, für jeden Betreffenden die Höhe des Gehalts nannte, notierte Werres eifrig Namen und Zahlen. „Das wären nun sämtliche Herren?“ fragte er schließlich. Als Westfal bejahte, schien er auf seinen Platz an der Tür zurückkehren zu wollen. Da entfiel ihm der Bleistift und rollte dem Prokuristen dicht vor die Füße. Ehe dieser sich bücken konnte, war Werres mit eigentümlicher Hast niedergekniet, und, nachdem er einige Sekunden vergeblich gesucht hatte, erhob er sich wieder und meinte mit leisem Lächeln: „Danke, Herr Westfal – ist schon etwas kurz, der Bleistift …“ – Dann ging er und lehnte sich wieder an die Tür. Keinem der Anwesenden war diese kleine Szene irgendwie aufgefallen – es war eben ein Zufall, daß der Bleistift herabfiel und dem Prokuristen so dicht vor die Füße rollte. Hübner entließ nun Herrn Westfal und bat ihn, den ersten Kassierer hineinzuschicken.

Herr Meisel, ein korpulenter kleiner Herr, dessen grauer Schnurrbart ihm traurig um die Mundwinkel herabhing, wiederholte nur seine Aussagen, die er bereits dem Kommissar gegenüber gemacht hatte. Herr Friedrichs habe ihn am Vormittage zweimal, und zwar kurz hintereinander durch das Telephon angerufen und mit ihm wegen der an den Baron von Berg auszuzahlenden 150 000 Mark gesprochen. Beim zweitenmal sei sein Chef ziemlich ungehalten gewesen, daß das Geld noch nicht bereit sei und habe ihm dann ausdrücklich befohlen, die Scheine und Banknoten ihm in sein Privatkontor zu bringen, da der Herr Baron sich das Geld von ihm persönlich abholen würde. Nachdem er besagte Summe Herrn Friedrichs selbst überbracht und vorgezählt habe, seien die Scheine und Banknoten von ihm wieder in ein großes gelbes Kuvert gesteckt worden, und dieses Kuvert habe sein Chef vor sich auf den Schreibtisch gelegt. Weiter wisse er nichts anzugeben, da er sofort in den Kassenraum zurückgegangen sei. Diesen habe er auch nicht verlassen, bis Herr Westfal mit der Unglücksnachricht hereinstürmte. Da habe er denn die Tür zu dem Kassenzimmer abgeschlossen und sei mit seinem Kollegen, dem zweiten Kassierer Willert, hier in das Wartezimmer geeilt. Das Privatkontor habe weder er noch sein Kollege betreten. – Der Staatsanwalt richtete noch einige Fragen an Herrn Meisel, die aber auch nichts Neues brachten. Als Hübner unzufrieden in sein Blatt mit den Notizen hineinsah, als wollte er nachsehen, ob er bei seiner Fragestellung nichts vergessen habe, sagte Werres unvermittelt: „Herr Meisel, Sie haben also den Kassenraum in der Zeit von 10 bis gegen 11 – ich meine bis Herr Westfal Ihnen die Nachricht von dem Morde brachte, nur einmal verlassen?“

„Jawohl – als ich das Geld für den Baron von Berg aus der Stahlkammer heraufholte und es dann meinem Chef brachte.“

„Und um welche Zeit war das ungefähr?“ fragte Werres weiter. „Es muß gegen ¼11 gewesen sein … Ja richtig – es war sogar bestimmt wenige Minuten vor ¼11. Denn als ich aus dem Privatkontor in die Kasse zurückkehrte, bat mich mein Kollege Willert für kurze Zeit die Arbeit allein zu übernehmen, da er notwendig zu seinem Schneider zur Anprobe gehen müsse. Er sagte noch, er würde spätestens in einer Dreiviertelstunde wieder zurück sein. Und da habe ich nach der in der Kasse hängendem Uhr gesehen und die zeigte wenige Minuten vor ¼11.“ Werres notierte sich wieder einiges und schaute dann den Kassierer nachdenklich an. Dann schritt er wie absichtslos

  1. Vorlage: macht
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/15&oldid=- (Version vom 31.7.2018)