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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. „Und Ihr Kollege ist dann auch pünktlich wiedergekommen? So ist es doch?“ sagte er harmlos.

„Ja – es war wenige Minuten, bevor der Prokurist uns den Unfall meldete, also kurz vor 11.“ Zum Erstaunen des Staatsanwalts und des Kommissars wiederholte sich jetzt dieselbe Szene mit dem herabfallenden Bleistift, der dann von Werres so eilfertig gesucht wurde, auf die vorhin niemand geachtet hatte, da jeder sie für einen bloßen Zufall hielt. Als Herr Meisel dann das Zimmer verlassen hatte, fragte Hübner, indem er Werres forschend ansah: „Herr Doktor, diese Geschichte mit dem Bleistift ist also beabsichtigt …? – Denn daß ein Bleistift zweimal so zufällig verschiedenen Personen vor die Füße rollt und von Ihnen mit gleicher Behendigkeit gesucht wird, – das kann wohl niemand glauben?!“

„Ich gebe zu, daß der Bleistift nicht durch ein Ungeschick mir entfiel … Ich habe sogar einen Zweck dabei – nur diesen Zweck möchte ich vorläufig für mich behalten …,“ sagte Werres unbefangen. – Der Kommissar rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, als wollte er noch irgend etwas fragen. Aber da klopfte es schon an der Tür und auf das Herein des Staatsanwalts betrat der zweite Kassierer Willert das Zimmer. Ahnungslos setzte auch er sich auf den Stuhl vor dem Spiegel und schaute abwartend auf den Staatsanwalt, der wieder seine Notizen zu Rate zog. Dann sagte Hübner:

„Sie werden uns nicht viel Neues zu den Aussagen der beiden anderen Herren hinzufügen können, Herr Willert, da Sie ja in der für uns wichtigen Zeit von ¼11 bis 11 nicht in der Bank waren …?“

„Allerdings … Ich war während dieser Zeit bei meinem Schneider.“ Das klang sehr höflich und sehr gleichmütig. Der Staatsanwalt und auch der Kommissar richteten an Willert noch einige Fragen, die aber ziemlich belanglos waren. Werres stand wieder an die Tür gelehnt und starrte wie abwesend durch das Fenster in den Lichthof.

„Ich danke Ihnen, Herr Willert,“ sagte Hübner, als Werres keine Miene machte noch seinerseits eine Frage zu stellen. Der Kassierer erhob sich und wollte mit höflicher Verbeugung das Zimmer verlassen, hatte auch bereits die Hand auf den Türdrücker gelegt, als Werres vortretend hastig fragte:

„Haben Sie vielleicht auf jemanden Verdacht, Herr Willert, und – halten Sie den Baron von Berg einer solchen Tat für fähig?“

Der Kassierer hatte sich nun wieder umgewandt und schien zu überlegen.

„Als Täter kann doch wohl nur der Baron von Berg in Frage kommen,“ – antwortete er bedächtig. – „Ob ich den Baron einer solchen Tat für fähig halte …? Ja, dazu kenne ich den Herrn zu wenig …“ – Werres stand nun dicht vor ihm und schien weniger auf die Antwort geachtet zu haben, als auf die diamantbesetzte Schlipsnadel des Kassierers, deren Steine in dem Lichte des Kronleuchters blitzten und funkelten, und die er sich unverwandt, als interessiere ihn das Farbenspiel der Brillanten, ansah. Dann schaute er wieder gleichgültig auf die Spitzen seiner Stiefel.

„Einen anderweitigen Verdacht haben Sie also nicht, Herr Willert?“ – Seine Stimme klang merkwürdig gepreßt, als müsse er mühsam eine plötzliche Erregung unterdrücken. Zu einer Antwort kam es nicht, denn der Bleistift lag auf dem Teppich und Werres war blitzschnell niedergekniet und tastete suchend mit den Händen umher, wobei er des öfteren wie zufällig die eleganten Schuhe des Kassierers berührte. Es dauerte ziemlich lange bis er sich erhob.

„Ich habe ihn,“ – sagte er aufatmend; und dann ging er langsam wieder an seinen Platz zurück. Willert hatte ihm erstaunt nachgeschaut und sagte nun, indem er die letzte Frage beantwortete, – „Nein, ich habe einen anderweitigen Verdacht nicht …!“ – Aber Werres achtete auf ihn nicht mehr. Und, da Hübner den Kassierer mit einem nochmaligen – „Ich danke Ihnen“ – verabschiedete, verließ dieser das Zimmer. Kaum war er hinaus, als Werres unter den Kronleuchter trat und aufmerksam seine Fingernägel – erst die der einen Hand, dann die der andern – besichtigte. Plötzlich pfiff er leise durch die Zähne und nickte mehrmals mit dem Kopf, als habe er soeben eine höchst wichtige Entdeckung gemacht.

„Was haben Sie, Doktor?“ fragte neugierig der Kommissar. – „Sie tun ja gerade, als wäre durch dieses dreimalige Hinwerfen Ihres Bleistifts Ihnen ein großes Licht aufgegangen?“ – Auch Hübner blickte mit nicht zu verkennender Spannung auf Werres, der aber zur allgemeinen Enttäuschung nur sagte: „Was ich habe? … Nichts, als hier unter dem Nagel des Mittelfingers meiner rechten Hand“ – und er spreizte den betreffenden Finger ab – „etwas rotes Ziegelmehl, wie man’s auf jedem Neubau finden kann – bisweilen haftet er allerdings auch an Stiefelspitzen und Beinkleidern! Ziegelmehl, rotes Ziegelmehl – es entsteht durch Zertreten oder Aufeinanderreiben der gewöhnlichen gebrannten Bausteine …“

Richter zuckte hierauf nur wie bedauernd die Achseln, ohne ein Wort weiter zu verlieren.


8. Kapitel.

Die nun folgende Vernehmung des Portiers brachte die Untersuchung auch keinen Schritt vorwärts. Daß der Baron von Berg zweimal ein- und ausgegangen war, bestätigte er, wollte aber beide Male den Herrn nur flüchtig gesehen haben. Aus dem verschüchterten Laufburschen, der nach dem Portier hereingerufen wurde, war auch nicht viel herauszuholen. Er konnte nur zugeben, daß ihm das Anmelden der Besucher bei dem Bankier oblag und daß er bei dem zweiten Besuche des blonden Herrn mit der goldenen Brille Herrn Friedrichs dessen Karte hineingebracht habe, während der Herr selbst draußen in dem Vorraum wartete.

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)