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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

schien nichts weiter aufzufallen und so nahm er seine Sachen und kam wieder in das Wartezimmer, indem er die Tür hinter sich leise ins Schloß zog.

Hübner räusperte sich … „Herr Dr. Werres, würden Sie mich vielleicht draußen erwarten … ich habe mit Ihnen noch etwas zu besprechen.“

Der Kommissar schaute überrascht auf. Was wollte denn der Staatsanwalt von Werres?! – Ihm war dieses Übergehen seiner Person unangenehm, außerdem argwöhnte er, daß Hübner versuchen würde, aus dem Doktor irgend etwas herauszuholen. Darin hatte sich Richter auch nicht getäuscht. So unangenehm dem Staatsanwalt Werres auch war – bei ruhiger Überlegung hatte er sich doch sagen müssen, daß jener wohl der einzige sei, der sich in diesem geheimnisvollen Dunkel einigermaßen zurecht fand.

Werres hatte Hübner nur sehr förmlich geantwortet: „Ich werde Sie draußen erwarten, Herr Staatsanwalt, da ich den Kassierer Meisel noch einiges fragen möchte.“ Damit hatte er das Zimmer verlassen, durchschritt den Vorraum und ging den Korridor entlang, bis er die zur Kasse führende Tür, die durch ein Porzellanschild gekennzeichnet war, erreichte. Er trat ohne Anzuklopfen ein und sah sich in dem großen Raum um. Der eigentliche Kassenraum war durch ein bis zur Decke reichendes, ziemlich engmaschiges Eisendrahtgitter von dem für das Publikum bestimmten Teile des Zimmers getrennt. Drei den Postschaltern ähnliche Schiebefenster vermittelten den Verkehr. Seitlich befand sich in dem Gitter eine Tür, die jetzt geöffnet wurde. Der erste Kassierer Meisel kam auf Werres zu und fragte in seiner nervös hastigen Art:

„Wünscht der Herr Staatsanwalt vielleicht noch irgend etwas …?“ Der kleine Herr schien noch höchst aufgeregt.

„Nein – nur ich hätte noch eine Bitte, Herr Meisel. Würden Sie mir Ihre und Ihres Kollegen Adresse und auch die des Herrn Prokuristen angeben – es ist ja möglich, daß wir einen der Herren irgendwie noch bemühen müssen.“

„Aber bitte …“ sagte Meisel eilfertig und nötigte Werres in den eigentlichen Kassenraum. „Ich werde Ihnen die gewünschten Adressen sofort aufschreiben – wollen Sie bitte so lange warten.“

Werres trat ein. „Verzeihung, Herr Willert, der Geldschrank da ist doch System Ada?“ fragte er, nachdem er sich in dem Raume umgesehen hatte, scheinbar mit Interesse.

„Allerdings!“ – Willert war aufgestanden. „Sogar neueste Konstruktion.“ – Und er erklärte eingehend die Neuerungen und Verbesserungen. Werres hörte zu – aber seine Augen blickten ein paarmal ganz unauffällig auf die brillantenbesetzte Krawattennadel des neben ihm Stehenden – auf dieselbe Nadel, deren Farbenspiel er vorhin schon in dem Wartezimmer bewundert hatte. Und das ironische, unerklärliche Lächeln spielte wieder um seine Lippen. Er hatte sich nicht getäuscht … zwischen den Steinen des ziemlich großen Schmuckgegenstandes hingen noch immer die beiden blonden Härchen, die seine Blicke schon bei der Vernehmung wie magnetisch angezogen hatten – blonde Härchen – die nur er bemerkt hatte und die … wohl nur durch einen merkwürdigen Zufall sich zwischen den Einfassungen der Brillanten festgeklemmt haben konnten, da Willert keinen Vollbart, sondern nur einen gutgepflegten Schnurrbart trug. – Der erste Kassierer trat hinzu und reichte Werres ein Blättchen Papier. Dieser steckte es in seine Paletottasche, bedankte sich und verließ nach kurzem Gruß die Kasse.

„Eigenartiger Mensch,“ brummte Meisel.

Willert hatte dem Doktor auch nicht gerade freundlich nachgeschaut. „So ein verkrachter Referendar,“ meinte er – „jetzt Polizeispitzel … aber“ – und er tippte sich mit dem Finger an die Stirn – „einen Nagel!! – Ich kenne ihn von Ansehen … mir notabene äußerst unsympathisch!“ –

Werres war inzwischen, dem Portier, der an dem Fenster seiner Loge saß, zunickend, die Treppen langsam herabgestiegen und auf die Straße hinausgetreten. Mit ungewohnter Hast zog er sein Zigarettenetui hervor, zündete sich eine seiner starken parfümierten Zigaretten an und sog mit Behagen den Rauch in die Lunge ein. – Er konnte mit der Arbeit dieser Stunden zufrieden sein! Während sein Vorgesetzter, der Kommissar, und auch dieser hochmütige Staatsanwalt diesem Raubmord noch wie einem unlösbaren Rätsel gegenüberstanden, während dieser als so sehr brauchbarer Detektiv bekannte Behrent den Baron von Berg belauerte, spann er die Fäden seines Netzes in Gedanken immer weiter aus, und dieses Netz wollte er schließlich über dem wahren Schuldigen zusammenziehen, über dem geheimnisvollen Doppelgänger des Baron von Berg! – Wenn aber dieser Staatsanwalt hoffte – Werres ahnte das Richtige – ihn ausfragen zu können, da sollte er sich doch geirrt haben! Was er wußte, behielt er für sich und kein Wort sollte früher über seine Lippen kommen, bis er den Schuldigen festhatte – den Schuldigen und seinen Raub. –

Als die drei Herren jetzt auf ihn zukamen, verabschiedete er sich von den andern und sagte dann zu dem Staatsanwalt:

„Herr Staatsanwalt, Sie wollten mich sprechen. Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir in die Dannersche Weinstube; man unterhält sich in einem Lokal ungenierter als auf der Straße.“

„Bitte, sehr gern! – Aber“ – Hübner schaute Werres prüfend an – „warum gerade zu Danner? Halten denn auch Sie noch den Baron für verdächtig?“

„Nein – nur Ihnen will ich jeden Verdacht gegen den Baron benehmen, Herr Staatsanwalt. Wir werden bei

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/18&oldid=- (Version vom 31.7.2018)