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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

„Hätten Sie mich vorher gefragt, Herr Sanitätsrat,“ – sagte er merkwürdig gepreßt – „ich hätte Ihnen von diesem Schritt entschieden abgeraten.“

„Aber warum denn – ich verstehe Sie nicht?!“ sagte der Sanitätsrat eifrig. „Sehen Sie, Herr Doktor, 5000 Mark sind für viele eine bedeutende Summe, und 1/3 des wiederaufgefundenen Geldes, das können an die 50 000 Mark sein, ein Vermögen. Und um zu dem Gelde zu kommen, da öffnet sich mancher Mund, der sonst wohl geschwiegen hätte – und der Verstand arbeitet emsiger, der Eifer wächst. Das letztere wollte ich hauptsächlich; denn offen gestanden, Herr Doktor, mir scheint es, als ob in den letzten Tagen der Mut und damit auch die Arbeitsfreudigkeit der Polizei zu sehr gesunken sind!“ – Werres schwieg und starrte an den Sanitätsrat vorüber auf die graugetünchte Wand. In seinem Hirn kreuzten sich die Gedanken, verwirrten sich … Was winkte ihm da – ein Vermögen! Wie leicht war es zu erringen, fast war’s ihm, als könne er jetzt schon die Hand nach diesen Tausenden ausstrecken, die ihm ein Glück ausbauen konnten – seine Zukunft – seine und die eines Mädchens dort in der Grenzstadt in Ostpreußen, die er liebte und nach der er sich sehnte mit so weichen, innigen Gefühlen in der Brust. – Kannten ihn denn diese Menschen, die ihm aus dem Wege gingen, nur weil er klüger war wie sie, weil er zu ehrlich war, um ihnen seine Geringschätzung nicht zu zeigen, weil eine harte Lebensschule seinen Verstand, nicht sein Herz zu ironischer Einschätzung seiner Mitmenschen gezwungen hatte?! Wer ahnte von ihnen, daß unter diesen starren Zügen, hinter diesen leblosen Augen eine Welt von reinen Empfindungen, ein so reiches Innenleben sich verbarg?! – Nur eine einzige wußte es, nur einer wurde ein Blick in dieses Herz gegönnt, das sich so rätselhaft vor allen andern durch eine häßliche Larve versteckte! – In Werres Gesicht war nichts von alledem zu lesen, nichts; nur die Linien um diesen fast grausamen Mund waren weich geworden; aber der, der in dieses Gesicht fortwährend hineinblickte, sah nichts als Rätsel und Widersprüche darin.

„Müssen Sie mir nicht recht geben, Herr Doktor?“ – fragte der Sanitätsrat wieder – „wird die Aussicht auf diese Belohnung nicht doch unsere Untersuchung fördern? – Sie wundern sich vielleicht über die Höhe der ausgesetzten Summe; aber – mein Bruder hat mir Millionen hinterlassen, ich selbst bin reich und meine Pflicht muß es sein, mit allen Mitteln wenigstens den Versuch zu machen, der vergeltenden Gerechtigkeit ihr Amt zu erleichtern.“

Werres nahm sich zusammen, er drängte diese Flucht von Gedanken, Hoffnungen – und Befürchtungen zurück. „Von Ihrem Standpunkt haben Sie richtig gehandelt, das gebe ich zu,“ – sagte er ernst – „aber ich von dem meinigen kann – nein, ich kann diesen Schritt nicht billigen!“ – Der Sanitätsrat starrte ihn ratlos an. „Sie von Ihrem Standpunkt? … Ich verstehe Sie wirklich nicht?“ – Werres war aufgestanden und lehnte sich an seinen Schreibtisch; seine Augen hatte er zu Boden geschlagen und seine Stimme klang wieder so merkwürdig gepreßt. – „Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig – jetzt haben Sie mich zum Reden gezwungen, Herr Sanitätsrat! Denn ich will nicht, daß es später heißt: Der Doktor Werres hat nur deshalb seine Erfolge so ängstlich verschwiegen, weil er diese Belohnung für sich allein haben wollte – aus Habgier also! – Bis jetzt konnte ich das, was ich wußte, verheimlichen, weil niemand mir daraus auch nur den geringsten Vorwurf machen kann! Jetzt, nachdem Sie diese Summe ausgesetzt haben, muß ich sofort meinem Vorgesetzten Mitteilung machen. Denn ich habe Erfolge gehabt, Herr Sanitätsrat – ich glaube dem Mörder auf der Spur zu sein. Aus Ehrgeiz – und um mir durch die Entdeckung dieser geheimnisvollen Mordtat eine baldige Anstellung zu erwirken, deshalb schwieg ich – nur deshalb!“ Der alte Herr schüttelte leicht den Kopf. „Jetzt sage ich Ihnen, Herr Doktor,“ meinte er freundlich, „daß Sie von Ihrem Standpunkt als Ehrenmann einen voreiligen Schritt tun wollen, etwas, was ich von dem meinigen auch nicht billigen kann. Ihre Absicht in Ehren – aber als der Ältere darf ich auch als Ehrenmann Ihnen wohl einen wohlmeinenden Vorschlag machen: Behalten Sie das, was Sie wissen, ruhig weiter für sich. Es genügt, daß Sie mir gegenüber Ihre Bedenken – Ihre Befürchtungen geäußert haben! Seien Sie versichert, Herr Doktor, daß, wenn ich bei wirklich erfolgtem glücklichen Gelingen Ihrer Pläne die Motive Ihres Schweigens erkläre und noch hinzufüge, daß ich mit der Geheimhaltung einverstanden war, niemand es wagen wird, Ihr Verhalten ungünstig zu kritisieren. – Nehmen Sie an,“ fuhr der Sanitätsrat fort, als Werres schwieg – „daß ich Sie von heute an – privatim mit diesen Recherchen beauftragt habe, daß Sie seit heute sozusagen in meinen Diensten stehen. Ich weiß, das kollegiale Gefühl sträubt sich in Ihnen, allein die Vorteile Ihres Könnens zu genießen; aber, lieber junger Freund, das Leben verlangt Egoisten und – nicht alle würden ehrenhaft genug sein, sich mit derartigen Erwägungen zu quälen.“

Werres schaute auf. „Ich habe mir’s überlegt, Herr Sanitätsrat; – gut, wenn Sie den Herrn Polizeipräsidenten bitten wollen, daß ich von heute ab mich als Ihr … Privatdetektiv betrachten darf, ich also vom Dienst bis auf weiteres vollkommen beurlaubt werde und der Herr Präsident das genehmigt – dann nehme ich Ihren Vorschlag an! – Die Motivierung Ihrer Bitte bleibt Ihnen überlassen, Herr Sanitätsrat. Ich möchte Sie nur ersuchen, dem Herrn Präsidenten keinen Einblick in unsere Privatangelegenheit zu geben – Sie verstehen mich wohl!“ Dr. Friedrichs nickte. „Ich werde noch heute den Präsidenten aufsuchen – er ist

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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)