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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

täuschen lassen … Aber ihn finden …?! Keine Spur – nichts – wir sind heute nach einer Woche noch ebenso unwissend wie an dem Tage des Mordes! – Was haben Sie denn nun eigentlich in dieser Woche getan – in welcher Richtung betreiben Sie Ihre Recherchen …?“

Der Kommissar blickte finster vor sich hin. „Da es sich nur um eine Person handeln kann, die den Baron von Berg genau kennt, die außerdem von den Verhältnissen in der Bank genau unterrichtet sein mußte, so habe ich zunächst nur festzustellen versucht, ob der Baron während seines hiesigen Aufenthaltes vor dem Morde mit irgend jemandem zusammen gewesen ist, der ihm vielleicht äußerlich etwas ähnlich sieht. Ich werde – das habe ich ja schon öfters gesagt – den Verdacht nicht los, daß dieser Herr von Berg an der Tat beteiligt ist. Denn nur dann läßt sich eine Erklärung für diesen rätselhaften Raubmord finden.

„Und diese Erklärung wäre?“ fragte der Rat, ohne jedoch viel Interesse zu zeigen.

„Wie die Vernehmungen unzweifelhaft ergeben haben, Herr Rat, konnte als Täter zunächst von den Angestellten der Bank niemand in Frage kommen. Man könnte ja vielleicht an den Prokuristen Westfal denken, der den Ermordeten zuerst aufgefunden hat. Aber wenn man bedenkt, daß gegen ¾11 ein Unbekannter, der der Baron von Berg nicht war, in das Privatkontor zu dem Bankier gegangen und daß dieser Unbekannte seitdem spurlos verschwunden ist, wenn man ferner das Zeugnis des Arztes in Erwägung zieht, wonach der Mord gegen ¾11 geschehen ist – dann muß sich auch ein Verdacht in dieser Richtung als hinfällig erweisen. Der Mörder ist jener Doppelgänger des Barons – daran ist wohl nicht mehr zu zweifeln. Aber dieser Mörder kann nur eine Person sein, die sowohl den Herrn von Berg genau kannte als auch gewußt hat, daß sich gegen ¾11 in dem Privatkontor die Summe von 150 000 Mark befand und die ferner ebenso bestimmt wissen mußte, daß der Baron diese Summe noch nicht abgeholt hatte – mit einem Wort, der Mörder hat – da an ein unvorbereitetes Verbrechen nicht zu denken ist – seinen Plan genau den obwaltenden Umständen angepaßt, und – nur diese eine Erklärung findet sich da – diese Umstände sind ihm von niemand anderem als dem Baron selbst zugetragen worden, können es auch nur sein, da kein Fremder diesen so wohl überlegten Plan fassen konnte. Daher habe ich zunächst nur feststellen wollen, ob der Baron – wie ich ja schon erwähnte – in der Zeit vor dem Morde mit einer Person vielleicht eine Besprechung gehabt hat. Diese Nachforschungen haben aber bisher kein Resultat gehabt. Dann hält sich der Kriminalbeamte Turski seit fünf Tagen in dem zu dem Rittergute des Barons gehörendem Dorfe Scherwinden in der Verkleidung eines Fettviehhändlers auf, um vielleicht dort etwas über diesen merkwürdigen Freund des Herrn von Berg zu erfahren. Turski hat leider nur berichten können, daß der Baron die Summe von 150 000 Mark zur Bezahlung …“

Der Rat unterbrach ihn. „Das weiß ich alles schon, Richter – Ihre Mutmaßungen, daß der Baron den Mörder sozusagen angestiftet hat oder doch mit ihm unter einer Decke steckt, verteidigen Sie wirklich mit einer anerkennenswerten Hartnäckigkeit. Leider muß ich Ihnen sagen, daß Sie selten so fehlgegriffen haben wie mit diesem, durch nichts begründeten Verdacht. Ich halte den Baron für vollkommen unschuldig … und, wie wir auf diese Weise weiter kommen wollen, wo wir so in der Irre herumsuchen, das weiß ich wirklich nicht!“ – Der Herr Rat war aufgestanden und schritt aufgeregt im Zimmer auf und ab. „Und wie ist’s mit dem Werres?“ fragte er lauernd.

Richter zuckte die Achseln. „Ich sagte Ihnen ja schon, Herr Rat – ich glaube, daß Werres besser unterrichtet ist, als es scheint …“

„Auch das ist irrig,“ polterte Scheller los – „dem jungen Herrn sind seine ersten Erfolge etwas zu Kopf gestiegen – jetzt spielt er den Geheimnisvollen und hofft, daß er mit der Zeit schon hinter diese rätselhafte Geschichte kommen wird – und dann will er uns weißmachen, daß er vom ersten Tage der einzig Eingeweihte war! Der tappt ebenso im Dunkeln wie wir! Ich habe mir eben den Grosse vorgenommen; erst wollte er ja nicht mit der Sprache herausrücken, da Werres vorsichtig wie immer ihm Stillschweigen anbefohlen hat – aber schließlich erzählte er mir dann … und was war’s?! Werres läßt da einen Arzt Werner suchen, den es hier in der Stadt gar nicht gibt und ist nachher unangenehm überrascht, als Grosse ihm beweisen kann, daß der Gesuchte gar nicht existiert! – Lächerlich!“

Der Kommissar horchte auf. „Also der Doktor sucht eine bestimmte Person …?! Ob dahinter nicht doch mehr steckt?!“

„Keine Rede – der forscht ebenso dem großen Unbekannten nach, wie Sie, Richter! Er probiert herum – bald hier, bald da … Haben Sie denn diese Ihre Verdachtsgründe gegen den Baron Werres mitgeteilt?“

„Werde mich hüten – er spricht sich zu mir auch nicht aus!“

„Das ist dieser vermaledeite Ehrgeiz bei euch,“ rief Scheller nun wirklich böse – „jeder schleicht herum und verbirgt dem andern das Wenige, was er zu wissen glaubt – und natürlich leidet die Untersuchung darunter!“

Der Kommissar schwieg. Er war nachdenklich geworden. Daß Werres da einer Person nachjagen sollte, die überhaupt nicht existierte – daran glaubte er nicht; dazu kannte er seinen Schüler doch zu gut. – Der Polizeirat blätterte in einem Aktenstück.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)