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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

denke, ich versuche das Glück nochmal – oder, hören Sie, ich habe eine Idee … Kaufen Sie für mich für mein Letztes zwei Karten à 25 Mark! Sie kennen doch diesen alten Spieleraberglauben, daß ein Dritter mit eigenem Gelde gewinnen soll!!“ – Werres tat Möller den Gefallen. Das Spiel wurde aufgedeckt – und er hatte für den Referendar das große Los mit 200 Mark gewonnen. Als er das Geld diesem aushändigte, meinte er kopfschüttelnd: „Manchmal macht sogar der Aberglaube selig!“

Möller klopfte ihm vergnügt auf die Schulter und sagte leise: „Werres – bitte – ich borge Ihnen hier 100 Mark – nein, Sie müssen’s nehmen … Sie wissen doch, geborgtes Geld bringt Glück im Spiel!“ Er drängte ihm das Geld auf, das Werres dann auch gleichmütig in die Tasche seines Beinkleides gleiten ließ.

Inzwischen hatte der Kellner die Bowle und ein großes Tablett mit grünen Römern hereingebracht, die Herren schenkten sich eifrig ein und die Stimmung wurde immer lebhafter. Die Stimmen klangen erregter, die Unterhaltung wurde in überlautem Tone geführt und mancher nicht ganz einwandfreie Witz mit einer Heiterkeit begrüßt, die die von Alkohol erhitzten Gesichter noch dunkler färbte. Als gerade ein Spiel beendet war, rief Willert, nachdem er hastig ein Glas des starken Getränks hinuntergestürzt hatte: „So ein Pech … kann mir einer der Herren mit Geld aushelfen, – ich habe mich verausgabt!“ – In seinem geröteten Gesicht flimmerten die Augen unstet und seine Stimme klang heiser und vibrierte leicht. Er hatte, ärgerlich über seine fortwährenden Verluste, der Bowle allzu reichlich zugesprochen und war angetrunken. – Auf seine Frage erhielt er keine Antwort; nur der Gutsbesitzer glaubte sich aus Höflichkeit verpflichtet, bedauernden Tones zu sagen: „Ich bin leider auch nicht genügend versehen, sonst …“ Die Übrigen schienen absichtlich Willerts Worte überhört zu haben. Da zog er sich eilig den Paletot an und nahm seinen Zylinder vom Kleiderständer. „Ich komme sofort wieder – die Herren bleiben doch noch – gehe nur nach Hause mir Geld holen …“ Damit war er auch schon hinaus.

Werres, der neben dem Oberleutnant Hilger stand und diesem auf einige Fragen, die natürlich die Mordaffäre betrafen, in seiner Weise recht wenig befriedigende Auskunft gegeben hatte, zog die Uhr. Es war fünf Minuten nach zwölf. Werres überlegte … Sollte der Kassierer wirklich noch eine derartige Summe zu Hause liegen haben, daß sie ihm ein Weiterspielen mit einer Aussicht auf Erfolg ermöglichte? Oder … sollte er so leichtsinnig sein, so unvorsichtig, eine andere Summe anzubrauchen, die er besser liegen ließ, bis … Gras über eine gewisse Affäre gewachsen war?! Und sollte er diese Summe wirklich zu Hause mit einer kaum zu verstehenden Frechheit eingeschlossen haben – fühlte er sich so sicher, daß er vom Alkoholdunst und der Leidenschaft des Spiels umnebelt, eine Dummheit begehen wollte, die ihm so leicht verhängnisvoll werden konnte?! Und weiter … ließ es sich denn nicht feststellen, ob Willert wirklich nach Hause ging?! – Werres lächelte vor sich hin … Ihm war ein Gedanke gekommen. Der Kassierer wohnte, wie er wohl wußte, in der Wrangelstraße. Von hier gebrachte jener, selbst wenn er sich einen Taxameter nahm, immerhin fünf Minuten zur Hinfahrt und dieselbe Zeit zur Rückfahrt – im ganzen ungefähr 12 Minuten – das Mindeste gerechnet. Kam Willert vor Ablauf dieser 12 Minuten zurück, so hatte er gelogen – dann hatte er gar nicht die Absicht gehabt nach Hause zu eilen, sondern irgendwo andershin … Aber wohin?! … Und diese Frage setzte allen weiteren Kombinationen eine unüberwindliche Schranke.

Inzwischen hatte Werres sich wieder am Spiel beteiligt, aber ohne jede Aufmerksamkeit. Er gewann … gewann. Das Goldgeld in der Tasche seines Beinkleides zog diese schon schwer herunter … Werres dachte an anderes. Keiner der Anwesenden ahnte, wie wenig ihn diese laute, lärmende Gesellschaft, dieses geisttötende für andere so nervenaufreibende Jeu kümmerte … Er war jetzt wieder nur Kriminalist, und der kühl und scharfsinnig abwägende Verfolger des geheimnisvollen Doppelgängers des Baron von Berg.

Die schrille Stimme des Bankhalters weckte ihn aus seinem Brüten auf. „Wer übernimmt die Kasse, meine Herren – ich habe zehn Spiele gegeben!“ – Es war hier Spielregel, daß der Bankhalter nach je zehn Spielen wechselte. Möller, der jetzt neben Werres stand, sagte: „Nehmen Sie die Bank, Kollege“ … und dieser setzte sich denn auch ohne Zaudern an die Schmalseite des Tisches und faßte in die Tasche seines Beinkleides, nur sein Geld hervorzuholen. Beinahe erschreckt fühlte er zwischen seinen Fingern eine Menge der schweren Goldstücke, und als er diese vor sich hinlegte, mußte er sich bei ganz oberflächlicher Taxierung sagen, daß er weit über 400 Mark in der kurzen Zeit gewonnen hatte. Gedankenlos waren die Gewinne von ihm eingesteckt worden, gedankenlos hatte er, weil’s die anderen auch taten, immer drei Karten zu 25 Mark gekauft … und gewonnen! Das geborgte Geld hatte ihm Glück gebracht – Möllers Aberglaube feierte an Werres einen weiteren Triumph!

Der Kellner hatte eine zweite Bowle gebracht und auf einem schmalen silbernen Tablett ausgebreitet Zigaretten. Auf allgemeinen Wunsch waren auf Sekunden unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln die Fenster und die Tür geöffnet worden, um der schon nicht mehr einzuatmenden, stickigen Luft Abzug zu verschaffen. Dann gruppierte sich alles wieder um den Spieltisch.

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)