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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

er fragte: „Wünscht sonst einer der Herren noch Karten?“ – Es erfolgte keine Antwort. Und in den wenigen Sekunden, in denen Werres Mund mechanisch diese Frage ausgesprochen hatte, war er mit seinem Plane fertig. Er nahm das vor ihm auf dem Tisch liegende Spiel in die linke Hand, als wollte er die Karten jetzt auflegen. Da entglitten sie ihm scheinbar absichtslos – er wollte mit der rechten noch schnell zufassen – da lag ein Teil der Kartenblätter über seine Kasse ausgestreut, ein Teil am Boden, einige waren weit ins Zimmer geflogen. „Pardon, meine Herren“ – rief Werres scheinbar verlegen und sprang auf, um die Karten aufzuheben. Die Herren halfen bereitwilligst, kurze Zeit achtete niemand auf ihn. Und blitzschnell hatte er die Banknote des Kassierers in der Hand zusammengeknüllt und dafür die unter den Goldstücken verborgene, ebenso zusammengefaltete des Gutsbesitzers hervorgezogen. Dann faßte er in die Brusttasche, holte sein Taschentuch hervor – dabei ließ er den in der Handfläche verborgenen Schein in die Tasche gleiten – und ein lautes Hatschi ertönte, so täuschend nachgeahmt, daß der etwas biedere Gutsbesitzer, der gerade eine Karte vom Boden auflas, Werres zurief „Prosit – zur Gesundheit, Herr Doktor.“ Niemand hatte die Komödie durchschaut, auch der Kassierer nicht, niemand den Austausch der beiden Scheine bemerkt. Als die Karten wieder beisammen waren, mußte jedoch ein anderes Spiel genommen werden, da einige Kartenblätter zu sehr beschmutzt und zerknüllt aussahen. Auf Werres Goldhäuflein aber lag wie vorher ein zusammengekniffter 500 Markschein.

Der Kassierer gewann, als Werres die Karten aufgelegt hatte, mit Kreuz As das große Los. Es war, als ob eine merkbare Unruhe ihn verließ, als der Bankhalter ihm jetzt den 500 Markschein wieder hinreichte und er ihm dafür die drei 100 Markscheine zurückgab. – Das Spiel nahm seinen Fortgang. Werres als Bankhalter hatte, als er die Bank nach den üblichen zehn Spielen abgab, nur noch 20 Mark vor sich liegen – in seiner Brusttasche aber noch die Banknote des Kassierers. Als er jetzt um den Tisch herumging, um sich ein Glas Bowle einzuschenken, lächelte er wieder so spöttisch vor sich hin. – Wie leicht sich die Menschen doch täuschen ließen … und wie gut es war, daß der Zufall ihn heute in diese Gesellschaft geführt hatte. Wenn seine Vermutung zutraf, dann trug er da in seiner Tasche nichts anderes, als einen der Scheine, die bei dem Friedrichsschen Morde geraubt waren.

Nach einer Stunde brach man auf. Es war inzwischen zwei geworden und mehrere der Herren wollten noch in ein Kaffee gehen, um dort den Abend zu beschließen. Als Werres sich von Willert mit einem fast absichtslos hingesprochenen „Auf Wiedersehen morgen!“ verabschiedete, sagte dieser bedauernd – „Ich kann morgen erst sehr spät kommen – leider, ich habe abends in einem Verein etwas vor.“ – Dann trennte man sich. Möller begleitete Werres, und als sie durch die erquickende Nachtluft dahinschritten, meinte der Referendar zögernd: „Sie haben verloren, Kollege, nicht wahr?“

„Nein – ich habe sogar genau 300 Mark gewonnen.“

„So – ich dachte, daß Ihnen, weil sie die letzten zehn Spiele nicht mehr mithielten, wieder das Kleingeld ausgegangen sei … Na, da seien Sie froh – mir ist’s schlechter ergangen – aber ich kann’s vertragen. – Sagen Sie – Kollege, haben Sie Willert heute beobachtet?“ fuhr er dann nach einer Weile fort.

Werres stutzte. Sollte dieser Referendar etwas gemerkt haben?! – „Nein – wieso meinen Sie?“ sagte er jedoch in seinem stets gleichen Tonfall.

„Weil Willert heute nämlich ausnahmsweise gewonnen hat. Zuerst – besonders als er sich das Geld von Hause geholt hatte, war er doch merklich aufgeregt. Aber nachher blieb ihm das Glück hold und er hat sicher seinen Verlust von vorhin wieder eingeholt. – Er kann’s auch brauchen …“

„Wird ihm nicht viel nützen, dieser Gewinn,“ meinte Werres zweideutig.

„Erlauben Sie mal, Kollege, ob man an die 1000 Mark mehr oder weniger hat – und so viel hat er sicher eingeheimst – das macht doch schon was aus! – Dann trennten sich die beiden, da Möller die anderen Herren in dem Kaffee noch aufsuchen wollte. Werres aber beschleunigte seine Schritte; ihn trieb es heim. Die Banknote in seiner Tasche glaubte er zu fühlen, es war, als ob sie zu ihm spräche und ihm die Geschichte eines rätselhaften Mordes erzählte, von den Motiven der Tat bis zu den feinsten Details ihrer Ausführung. Nur eines verschwieg sie ihm – wo der Raub verborgen war. Und daß dieser Erzählung so der Schluß fehlte, beunruhigte Werres.


16. Kapitel.

Den nächsten Morgen wachte Werres sehr spät und mit einem ziemlich schweren Kopfe auf. Er bewohnte in der Abeggasse ein großes möbliertes Zimmer der ersten Etage, dessen einfache Einrichtung er mit Geschmack und wenig Kosten ergänzt hatte. Er liebte ein gemütliches Heim, und bei seiner Neigung zum zurückgezogenen Leben wäre es ihm unmöglich gewesen, so viele Stunden allein in seinen vier Wänden zuzubringen, wenn er sich nicht ein „Zuhause“ geschaffen hätte, in dem nicht aus allen Ecken von allen Wänden die Erinnerungen früherer Jahre in Gestalt von bunten Mützen, Mensurschlägern, Bildern und anderen Kleinigkeiten zu ihm sprachen. – Als er nun aufstand und dann seine Toilette beendet hatte, kam seine Wirtin und brachte ihm auf sauber überdecktem Tablett den Morgenkaffee. Während er behaglich in einem Sessel sitzend sich die Brötchen strich, schweiften seine Gedanken doch wieder zu dem zurück, was ihn gestern nacht so lange wach gehalten. Der gestrige Abend hatte ihm das letzte Glied für seine Beweiskette geliefert, er hätte zu seinen Vorgesetzten hingehen und ihnen sagen können: „Ich habe den Mörder des Bankier Friedrichs entdeckt – jetzt ist kein Zweifel mehr möglich!“ Und wie genau griffen die Glieder dieser Beweiskette ineinander,

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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)