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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

„Aber vielleicht kommen der Herr Rat wieder? – Die Damen sind spätestens in einer Stunde zurück, da wir gerade viel Arbeit haben. – Ich bin die Aufwartefrau und wir sind beim Frühjahrsreinmachen.“

Grosse überlegte blitzschnell.

„Wiederkommen …?! Ich bin nur auf der Durchreise hier, bin auch zu müde.“

„Dann können der Herr ja auch warten,“ meinte sie und nötigte ihn herein. – Grosse wurde es doch etwas schwül zu Mut, als er nun in dem Wohnzimmer dieser ihm wildfremden Damen saß und der Frau zuschaute, die gerade mit Fensterputzen beschäftigt war.

„Sagen Sie mal, liebe Frau,“ – begann er dann, indem er sein Gesicht in freundliche Falten zu legen suchte – „verkehren ihre Damen noch mit Herrn Werner?“

„Werner? – Nein, Herr Rat, einen Herrn Werner habe ich hier noch nie gesehen. Was ist der Herr denn?“

„Der Herr ist Arzt, liebe Frau, und wohnt in Wermersdorf, nicht hier. War er denn letztens nicht zum Besuche hier …?“

„Sicher nicht!“ – entgegnete die Aufwartefrau harmlos. „Mit meinen Damen verkehrt nur der Herr Willert – vielleicht kennen der Herr Rat den auch?“

„Willert – Willert? – Bekannt kommt der Name mir ja vor.“

„Herr Willert ist Kassierer bei der Bank, wo sie letztens den Herrn Friedrichs ermordet haben …“ Grosse horchte auf. So schwerfällig war er doch nicht, daß ihm dieses etwas merkwürdige Zusammentreffen von Umständen nicht stutzig machen sollte: Werres schickte ihn her, um einen Arzt Werner suchen zu lassen, der nirgends aufzufinden war – und dafür hörte er hier etwas von einem Angestellten des Friedrichsschen Bankgeschäfts! Und plötzlich fiel ihm ein, daß der Doktor ihm diesen Arzt Werner so genau beschrieben hatte … Sollte Werres ihn nur haben täuschen wollen und …? …

„Wie sieht denn dieser Herr Willert aus – beschreiben Sie ihn mir mal, liebe Frau, vielleicht besinne ich mich dann …“ sagte er gleichgültig.

Die Aufwartefrau schilderte ihn genau … jenen Arzt Werner, gab dieselbe Beschreibung von ihm, wie Werres …

Grosse lächelte vor sich hin. „Also so kommt man hinter deine Schliche,“ dachte er – „du überschlauer Doktor läßt mich Werner suchen und meinst Willert; aha – man soll dir nicht in die Karten sehen … na, damit ist’s nun vorbei.“

„Nein, den Herrn kenne ich nicht,“ meinte er laut. „Aber es ist doch wunderbar, daß dieser mein Bekannter, der Arzt Werner, nicht hier gewesen sein soll. Hatten denn gestern abend die Damen keinen Besuch …? – Denn ich hatte mich für gestern um 9 Uhr mit dem Arzt verabredet, er schrieb mir aber, daß er Bekannte besuchen müsse … und da dachte ich, daß er hier gewesen ist. Früher verkehrte er nämlich viel mit dem Rat Schwarz.“

„So, so … aber gestern abend ist der Herr bestimmt nicht hier gewesen. Denn heute morgen beim Kaffee, als ich nebenbei das Schlafzimmer reinmachte und die Tür offen stand, sagte das gnädige Fräulein zu der Frau Rat: „Das war gestern noch ein unerwarteter Besuch, Mama, nicht wahr? Ein Glück, daß Hans uns noch bei der Arbeit fand …“ Und da habe ich die Frau Rat gefragt, ob denn Herr Willert – der heißt Hans und ist mit unserem Fräulein heimlich verlobt …“

„So, das freut mich herzlich,“ brachte Grosse scheinbar wirklich erfreut heraus.

„Ja – ob denn der Herr Willert gestern abend da war … In der letzten Zeit ist er sehr wenig gekommen und deswegen war unser Fräulein schon ganz traurig und da freute es mich, weil ich dachte, daß die Frau Rat sich auch freute – und daher fragte ich. Und die Frau Rat sagte zu mir: „Nein, Frau Schirmer, abends waren wir allein – Hans kam erst nachts auf ganz kurze Zeit herauf, weil er noch Licht sah, und holte sich etwas – er ging aber gleich wieder.“ – Ja, das hat die Frau Rat gesagt; und von dem Herrn Doktor Werner hat sie nichts gesagt.“

Hätte die redselige Aufwartefrau jetzt zu diesem alten Bekannten des Herrn Rat hinübergeschaut, ihr wäre sicher das wunderbare Mienenspiel in dessen Gesicht aufgefallen. Denn dieses Gesicht zuckte und verzerrte sich, da Grosse Mühe hatte, sein vergnügtes Lachen zu unterdrücken. Aber die Frau lehnte sich jetzt weit zum Fenster hinaus, um die Scheiben von außen zu reinigen. Inzwischen hatte der Kriminalbeamte Zeit gehabt, seine etwas wirren Gedanken zu ordnen. – Also so schlau wollte der Doktor es anfangen – so schlau! Tatsächlich interessierte ihn dieser Kassierer – und er, Grosse, mußte „Werner“ suchen! Und Werner sollte um ¼1 Uhr morgens hier gewesen sein?! „Werner“, den es gar nicht gab, den dieser raffinierte Werres nur erfunden hatte, um seine Schachzüge zu verbergen! – Oho, Doktor, dir komme ich immer mehr hinter deine feinen Schliche; Willert ist in der Nacht hier gewesen; das steht fest! Und diesen Willert werde ich mir doch

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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/39&oldid=- (Version vom 31.7.2018)