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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(13. Fortsetzung)

„Ja – bleibt verschwunden, Herr Doktor,“ entgegnete Grosse. Werres fühlte jetzt auch den leisen Spott in der Stimme des Beamten, und – das schadenfrohe Grinsen auf dessen Gesicht hatte sich noch verstärkt, wie er sehr wohl bemerkte. – Grosse glaubte sich unbeobachtet, da Werres ihm den Rücken zukehrte; aber jetzt zeigte sich auch um den Mund des Doktors, der da scheinbar so ahnungslos an seinem Schreibtisch saß, ein überlegenes Lächeln. Seine Stimme zeigte keine Veränderung, als er fragte:

„Bitte, erzählen Sie mir Genaueres.“

„Ich habe zunächst im Adreßbuch die Frau Rechnungsrat Schwarz gesucht – sie schreibt sich nur mit z. – Dann erkundigte ich mich bei der Wach- und Schließgesellschaft nach der Adresse des Schließers, der in der Werterstraße – da wohnt die Frau Rat – den Dienst versieht. Aber der Mann konnte mir keine Auskunft geben. Ich ging daher direkt zu der Frau Rat, klingelte in der Etage an, und mir öffnete eine Aufwartefrau; die Damen, Mutter und Tochter, waren ausgegangen. Ich führte mich bei dieser recht redseligen Frau als alter Bekannter des Verstorbenen ein und auf Umwegen bekam ich dann heraus, daß“ … Grosse zögerte etwas, fuhr dann aber hastig fort – „daß die Damen überhaupt niemals Herrenbesuch empfangen und sehr zurückgezogen leben. Außerdem behauptete die Frau bestimmt, daß gestern abend überhaupt niemand dagewesen sei, da die Damen heute gesprächsweise dieses erwähnt haben.“ – Grosse log frech, da er hoffen mußte, daß Werres ihm unbedingt Glauben schenken würde. Aber er log auch dumm – denn selbst wenn dem Doktor sein schadenfrohes Lächeln entgangen wäre, diese zufällige Bemerkung der Schwarz’schen Damen, es sei niemand abends dagewesen, die Grosse so plump ohne jede Motivierung vorbrachte, hätte Werres sicher stutzig gemacht.

Dieser hatte sich plötzlich erhoben und blieb vor dem Beamten stehen, den er durchdringend zu fixieren begann. Grosse wußte nicht, wie er sich des Doktors Benehmen auslegen sollte; er wurde verlegen und brachte nur stotternd heraus, indem sein Blick unstät im Zimmer umherirrte:

„Ja, schade … Herr Doktor!“

„Warum belügen Sie mich!?“ sagte Werres ohne den Ton seiner Stimme zu verstärken. Der andere begann unruhig zu werden und strich in wachsender Verlegenheit über die Lehne des Sessels hin. Aber seine Hand zitterte leise …

„Wollen Sie mir nicht antworten?!“ – Jetzt lächelte Werres – es war sein altes, jeden aufreizendes Lachen.

„Ich … ich … lügen?! Aber Herr Doktor.“

„Sie wollen mir also nicht die Wahrheit sagen, Grosse! Gut! Sie können gehen. Aber das Weitere wird sich finden. Gehen Sie!!“ Werres Stimme klang hart und befehlend. – Aber Grosse blieb sitzen und starrte den vor ihm Stehenden hilflos an. Und dann … kam eine Flut von Worten, Entschuldigungen, Beteuerungen, schließlich – die Wahrheit. Als der Beamte zu Ende war, sagte Werres ohne jede Erregung: „Ihr Glück, daß Sie sich besonnen haben! – Diese Schwindelei soll Ihnen vergeben sein – aber ich warne Sie: Kein, aber auch kein Sterbenswörtchen zu einem Dritten! – oder haben Sie etwa schon geplaudert?“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)