Seite:Der Doppelgänger.pdf/44

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Der Doppelgänger


Kriminalroman von Walther Kabel


(Nachdruck verboten)

(14. Fortsetzung)

„Bestimmt, Herr Doktor, ich werde dafür sorgen.“

„Besten Dank; und verzeihen Sie die Störung.“ Die Herren trennten sich mit einer höflichen Verbeugung.

Als Werres zu Hause angelangt war, fand er auf seinem Schreibtisch einen Brief, der die Aufschrift „Eilbrief“ trug und dessen Adresse mit Rotstift in Kreuzform durchstrichen war. Der Brief war an ihn adressiert, doch nicht nach seiner Wohnung, sondern nach dem Polizeipräsidium und war auf der einen Seite „Scherwinden“ abgestempelt. Werres wog den Brief in der Hand. Er fühlte etwas Hartes darin – das von ihm erbetene Bild des Baron von Berg, wie er richtig kombinierte. Dann rief er seine Wirtin.

„Wer hat den Brief gebracht, Frau Meier?“

„Einer der Herren von der Polizei, der schon öfters hier war, der kleine Schwarze.“ – Das war Müller.

„War sonst noch jemand da?“

„Nein, Herr Doktor.“

Werres schloß die Vorhänge, zündete die Lampe an und setzte sich an den Schreibtisch. Er öffnete den Brief und nahm den Inhalt heraus. Es war die Photographie des Baron von Berg und ein kurzes Schreiben, das Herr von Berg wahrscheinlich durch seinen Sekretär hatte abfassen lassen. Das Bild – Visitformat – war eine Profilaufnahme und wahrscheinlich in dem letzten Jahre hergestellt. – Werres schaute lange auf dieses aristokratische Männergesicht. Dann legte er das Bild beiseite, schloß die Schreibtischschublade auf und breitete seine Aufzeichnungen vor sich aus. Er tauchte die Feder ein und füllte auf der letzten Seite die bisher offengelassene Stelle aus; die Feder flog über das Papier hin, knirschte und kratzte bisweilen, aber sie ließ sich nicht aufhalten; in einem Zuge bedeckte sie diese weiße Fläche mit Kreuzen, Strichen und Punkten. Dann warf Werres den Halter hin, daß der Rest der Tinte verspritzte und sich in immer kleiner werdenden schwarzen glänzenden Pünktchen auf den grünen Schreibtischbezug verlor … Werres lehnte sich zurück und überflog das Geschriebene. Ein tiefer Atemzug hob seine Brust, ein Laut wehte durch das Zimmer wie ein Seufzer der Erleichterung – oder war’s ein Stöhnen? – Werres Mund hatte sich fest zusammengepreßt und in sein Gesicht war ein Ausdruck von Seelenpein getreten; ein weher schmerzlicher Zug lag um die sonst so spöttisch verzogenen Lippen … Sein Werk war vollbracht – vollbracht! Langsam richtete er den Blick empor zu dem Bilde, das da oben auf dem Schreibtischaufsatz stand. Und wie fragend schaute er in das liebe Mädchengesicht; es war, als hoffte er, daß dieses von so vollem Haar umrahmte Köpfchen ihm zunicken werde, ermunternd, dankbar! Nichts – nichts … als seine Gedanken … Sein Werk war vollbracht! Und morgen? … morgen würde da in der Werterstraße ein junges Weib besinnungslos schluchzen, würde mit wilden, trostlosen Augen ins Leere starren und vielleicht verfluchen, was sie heute noch liebte … Und das würde sein Werk sein …! –

Lange saß er so da; der Schmerz in seinen Zügen hatte sich verstärkt; ein Ausdruck von qualvoller Angst entstellte sein blasses Gesicht, in dem die roten Schmißnarben jetzt brannten wie Kainszeichen. Und dann richtete er sich schwerfällig auf. Er hatte ausgekämpft; die Pflicht hatte gesiegt und Werres glaubte für alle Zeit das begraben, was trotz dieses spöttischen Lächelns in seiner Seele gelebt: das warme Mitempfinden fremden Unglücks.


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)