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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

„Ja, Sie müssen mir die Kassette geben,“ erklärte er ruhig. Aber seine Augen scheuten sich, in dieses vor Erregung gerötete Mädchengesicht zu schauen, dem er heute das Lebensglück zertrümmern mußte – mußte!

„Nein – die Kassette gebe ich nicht heraus,“ rief die junge Dame – „ich habe Hans – Herrn Willert versprochen, niemandem zu sagen, daß er sie mir gegeben hat – und woher wissen Sie davon?“

„Frieda – Kind,“ sagte begütigend die Matrone – „bitte, bleib ruhig … Eine Kassette sagen Sie, Herr Doktor?! Ich weiß von einer Kassette nichts! – Wie hängt das zusammen, Kind?“ Die Tochter hatte sich in ihren Stuhl zurückgelehnt und schluchzte leise vor sich hin. Werres litt Folterqualen.

„Frieda – was ist’s mit dieser Kassette?“ fragte Frau Schwarz nochmals.

„Ich sage nichts – nichts –.“ Und in Tränen ausbrechend, wollte sie aus dem Zimmer stürzen. Werres vertrat ihr den Weg.

„Gnädiges Fräulein,“ sagte er bittend, „zwingen Sie mich doch nicht zu anderen Maßregeln. Ich wiederhole – ich komme als Beamter, ich tue nur meine schwere Pflicht!“ Auch die Mutter hatte sich erhoben.

„Frieda, du wirst dem Herrn gehorchen! … Aber von Ihnen, mein Herr, bitte ich jetzt eine Erklärung zu hören! Was hat mein Kind mit der Polizei zu schaffen?!“

Werres unterbrach sie. „Gnädige Frau, ich werde Ihnen allein nachher das sagen, was ich für nötig halte. – Erleichtern Sie mir doch meine Aufgabe, Sie werden mir es später danken.“ – Es mußte etwas in der Stimme des Sprechers liegen, das die Matrone für ihn einnahm.

„Kind – wandte sie sich liebevoll an ihre Tochter – ich wünsche, daß du dem Herrn Doktor diese Kassette aushändigst. Wir werden ja bald erfahren, wie diese ganze Angelegenheit zusammenhängt – etwas Schlimmes kann es ja kaum sein …“ Die junge Dame hatte sich gefaßt.

„Ich werde es tun, Mama, aber Hans wird sehr böse sein …“ Damit wollte sie an Werres vorbei das Zimmer verlassen. Wieder versperrte er ihr den Weg. „Verzeihung, ich muß Sie bis dahin begleiten, wo die Kassette verborgen ist, gnädiges Fräulein …“ Fragend schaute das Mädchen zu ihrer Mutter hin. Diese winkte nur ergebungsvoll. – Den Widerstand hatten die Damen diesem höflichen und doch so energischen Herrn gegenüber aufgegeben. Dann gingen sie in das Nebenzimmer, die junge Dame kniete vor einem Schränkchen nieder, schloß die unterste Schublade auf und kramte zwischen sauber zusammengelegten Wäschestücken einen Gegenstand hervor – die Kassette, die sie Werres ohne ein Wort hinreichte. Dieser wog sie prüfend in der Hand und schaute dann forschend der alten Dame in das ehrwürdige Gesicht.

„Sie kennen die Kassette nicht, gnädige Frau?“ fragte er.

„Nein …!“ Die Frau log nicht, das sah er. Und jetzt atmete er auf; in seiner Hand hielt er die Kassette – und darin lag – mußte das geraubte Geld liegen. – Dann wandte er sich wieder an die Frau Rat.

„Gnädige Frau, dürfte ich Sie noch um wenige Minuten Gehör bitten?“ – Die Dame nickte und ging ihm voraus in die gute Stube. Werres verbeugte sich verabschiedend vor dem Fräulein. Er suchte ihre Augen – aber nur ein verächtlicher Blick streifte ihn. Und müde ging er in das andere Zimmer, die Kassette in der Hand.

„Gnädige Frau“ – sie standen sich gegenüber und er sprach leise – „Sie und Ihr Fräulein Tochter wird heute noch … ein … großes Unglück treffen. Herr … Willert … ist … mit den Gesetzen in Konflikt geraten … er wird noch heute verhaftet werden!“ Die Matrone schwankte; entsetzt starrte Werres in das jetzt starre Gesicht.

„Verhaftet … werden?!“ stotterte sie.

„Bereiten Sie Ihre Tochter vor“ … und Werres verließ fluchtartig das Zimmer, eilte die Treppe hinunter. Diese Qualen waren zuviel für ihn … und in den Sekunden, wo er dieses entgeisterte Gesicht der alten Frau vor sich gehabt hatte, da … hatte er seinen Beruf selbst als gefühllos, als gemein verachtet! Unten riß er die Tür des Taxameters auf.

„Grosse,“ rief er herein – „steigen Sie aus. Sie bleiben bis pünktlich 11 Uhr hier in dem Hausflur und lassen niemanden hinaus – nein, am besten ist, Sie stellen sich oben in der ersten Etage in den Treppenflur! Von den in der Schwarzschen Wohnung anwesenden Personen hindern Sie jede am Verlassen des Hauses. Im Notfalle weisen Sie sich als Beamter aus. Um 11 kommen Sie dann nach der Friedrichs’schen Bank. Verstanden?“ – Dann fuhr der Taxameter davon. Neben Werres auf dem Polster lag die Kassette. – Und in das Rollen der Räder mischte sich ein tiefer Seufzer.


24. Kapitel.

In dem Privatkontor des ermordeten Bankiers Friedrichs beschien der hellstrahlende Kronleuchter die ernsten, erwartungsvollen Gesichter dreier Herren, die auf der einen Seite des großen grünüberzogenen Tisches in der Mitte des Zimmers saßen. Der vierte, Dr. Werres, lehnte an dem Schreibtisch und hatte soeben den andern, besonders dem Staatsanwalt Hübner und dem Kriminalkommissar Richter des längeren auseinandergesetzt, in welcher Weise er seinen Plan durch sie unterstützt sehen wollte, ohne ihnen aber irgendwelche Aufschlüsse über seine Absichten zu geben.

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)