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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

„Dann bitte ich Platz zu nehmen.“ – Man folgte der Aufforderung, und zufällig traf es sich, daß der zweite Kassierer Willert sich zwischen seinen beiden Kollegen niederließ und er so dem Staatsanwalt gerade gegenüber saß. Auch Werres hatte sich einen Stuhl genommen und fand seinen Platz an der Schmalseite des Tisches zwischen dem Sanitätsrat und dem Prokuristen Westfal.

Hübner hatte sich in seinen Sessel bequem zurückgelehnt und begann nun, während er seinen Bleistift zwischen den Fingern drehte:

„Meine Herren, wir haben uns heute hier zusammengefunden, um nochmals durch eine Aussprache den Versuch zu machen, in der Untersuchung dieses geheimnisvollen Mordes irgendwie weiterzukommen. Die bisherigen Recherchen haben so gut wie nichts ergeben. Wir stehen noch heute vor demselben Rätsel, wie vor neun Tagen.“ Unwillkürlich schaute nun Hübner die ihm gegenübersitzenden drei Angestellten nach einander wie fragend an. Aber er begegnete nur drei völlig gleichgültigen Augenpaaren, die nur auf seine weiteren Ausführungen zu warten schienen. Der Kriminalkommissar, welcher ebensowenig wie Dr. Friedrichs und der Staatsanwalt bisher wußte, auch kaum ahnte, wer der Täter sei, der nach den von Werres gegebenen Verhaltungsmaßregeln nur folgerte, daß die betreffende Person unter den Angestellten der Bank selbst zu suchen war, hatte während der Worte Hübners unauffällig die Gesichter der drei an der anderen Seite des Tisches sitzenden Herren gemustert. Doch in diesen Zügen zeigte sich eine so vollkommene, nur bei einem guten Gewissen mögliche Harmlosigkeit, daß er vergeblich nachsann und überlegte, wer außer diesen dreien von dem ihm doch bekannten Personal des Geschäfts hier in Betracht kommen könnte.

Der Staatsanwalt fuhr nach der kurzen Pause fort: „Den ursprünglich gegen den Baron von Berg gehegten Verdacht haben wir nun endgültig fallen gelassen, da Herr Doktor Werres eine andere Spur gefunden zu haben glaubt.“ Der Prokurist und auch seine beiden Kollegen schauten überrascht auf. Und Westfal drehte sich halb zu dem rechts von ihm Sitzenden hin.

„Aber gestern nachmittag sagten Sie mir doch noch, Herr Doktor, daß … daß Ihre Untersuchung in dieser Richtung noch nicht abgeschlossen wäre.“

Da fiel der Kommissar ein, mit viel Talent, wie Werres sich eingestand. „Das war gestern, Herr Prokurist – inzwischen sind wir anderer Meinung geworden“ … Westfal schien beruhigt.

„Ja, meine Herren – wir sind also nun übereingekommen“ – sagte Hübner ohne jegliche Unruhe – „daß Herr Doktor Werres uns hier seine Mutmaßungen und die Anhaltspunkte dafür entwickeln soll. Wir haben Sie dazu gebeten, weil es ja möglich ist, daß einer oder der andere von Ihnen uns vielleicht hiernach weiteren Aufschluß über die Person des Mörders geben kann. – Herr Doktor, würden Sie so freundlich sein zu beginnen.“

Auf den Gesichtern der Anwesenden merkte man deutlich das erwartungsvolle Interesse, mit dem sie dem Kommenden entgegensahen. Aber Richter entging es nicht, daß blitzschnell um die Mundwinkel des Kassierers Willert etwas wie ein höhnisches Lächeln zuckte.

Werres’ rechter Arm ruhte auf dem Tische und während er nun sprach, fuhr er mit dem Zeigefinger wie spielend über den grünen Bezug. Seine Stimme klang gleichmäßig wie immer und seine verschleierten Augen waren auf die elektrische Stehlampe gerichtet, die auf dem Schreibtische vor ihm brannte.


25. Kapitel.

„Bei dem uns beschäftigenden Morde,“ begann er, „handelt es sich zunächst um kein seit langem vorbereitetes Verbrechen. Die Annahme, daß der Baron von Berg der Täter sei, habe ich sofort unter eingehender Begründung sowohl dem Herrn Staatsanwalt, als auch dem Herrn Kommissar zu widerlegen versucht. Die Annahme der Beschaffung eines Vermögensvorteils als Motiv der Tat erschien mir in der Person des Barons durch nichts begründet; vielmehr mußte man sich bei den glänzenden Vermögensverhältnissen des Herrn von Berg sagen, daß er wegen einer Summe von 150 000 Mark ein solches Verbrechen nie begehen würde. Nach dieser Erwägung war es meine nächste Aufgabe, nach etwaigen Spuren zu suchen, die den Verdacht der Täterschaft in eine andere Richtung lenken konnten. Und ich fand auch bei der Besichtigung dieses Zimmers am Vormittage des 19. April etwas, das allerdings weder für noch gegen den Baron von Berg sprach und mir auch keinen direkten Schluß auf eine andere Person ermöglichte. Ich sah nämlich an dem dunklen Beinkleid des Ermordeten in der Höhe des linken Knies einen ungefähr talergroßen verschwommenen Fleck, den ich dann mit einer Lupe genauer untersuchte und so feststellte, daß dieser Fleck entstanden sein mußte, nachdem der Herr Bankier ermordet war. Denn dieser Fleck war durch die Berührung einer Stiefelspitze entstanden, die vorher irgendwie mit rotem Ziegelmehl beschmutzt worden war. Wie sollte nun gerade ein solcher Fleck an diese Stelle gelangen und außerdem noch von rötlichem Ziegelmehl herrühren? Herr Friedrichs hatte die Bank am Vormittage nicht verlassen, also schien die Annahme ausgeschlossen, daß er selbst sich irgendwo gerade mit Ziegelmehl beschmutzt hatte, das man doch gewöhnlich nur auf Neubauten oder auf der Straße findet, wo mit diesen Steinen beladene Wagen geleert werden. Weiter sagte mir die Lage des Flecks, daß der ihn hervorrufende Gegenstand nur die Stiefelspitze einer Person gewesen sein konnte, die zwischen dem Leichnam und diesem Tisch stand und sich weit vorbeugend irgend etwas von dem Schreibtisch da wegnehmen wollte. Dabei hat die betreffende Person unwillkürlich den linken Fuß gehoben und das Beinkleid des Toten gestreift. Ich habe versucht, mich selbst derart hinzustellen, habe auch nach dem Schreibtisch hinübergelangt und mich überzeugt, daß diese meine Kombinationen stimmten. – Sind den Herren meine bisherigen Ausführungen klar?“ Er schaute auf und ließ seinen Blick über die Anwesenden hingleiten; aber er sah nur erwartungsvolle Gesichter, in keiner Miene etwas mehr.

„Bitte fahren Sie nur fort, Herr Doktor,“ sagte Hübner höflich.

„Dieser Fleck konnte nun ja ebensogut von der Stiefelspitze des Barons herstammen wie von der eines Dritten, war für mich also noch kein eigentlicher Hinweis auf eine andere Person. Aber ich fand, nachdem Herr von Berg uns hier sein Alibi nachgewiesen hatte, noch mehr.“ – Werres machte eine kleine Pause.

„Ich sah in einer Krawattennadel zwischen den Verzierungen eingeklemmt zwei kurze, blonde Härchen, nichts weiter. Da derjenige, der diese Nadel trug, nun keinen

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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/51&oldid=- (Version vom 31.7.2018)