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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Schüler – denn als solchen betrachtete er den jungen Doktor noch immer – näher heran und flüsterte:

„Zweifellos ermordet. Zwar habe ich das Zimmer erfolglos nach einer Waffe durchsucht, aber das da – dabei wies er auf die Brust der vor ihm liegenden Leiche – ist so gewiß eine Stichwunde, als der Tote selbst der Bankier Friedrichs ist … Und“, – seine Stimme dämpfte sich noch mehr – „ebenso unzweifelhaft liegt Raubmord vor, denn hier aus diesem Zimmer sind 150 000 Mark – 150 000 Mark verschwunden …! – Die Hauptsache aber … auch der Mörder scheint bereits entdeckt!“ Bei den letzten Worten sah er den Doktor wie triumphierend an. Doch die von ihm erwartete Frage seines Schülers blieb aus.

Werres schien völlig ruhig und schaute dem Toten in das verzerrte Gesicht, auf dem die glasigen Augen unheimlich zur Decke emporstierten. Dann blickte er im Zimmer umher, von Gegenstand zu Gegenstand, langsam und bedächtig, als beschäftigte ihn schon jetzt ein schnell aufgetauchter Gedanke. Sein Blick schien die Entfernung von der Tür zu den Füßen des Ermordeten zu messen und wandte sich dann zu den vergitterten Fenstern, an denen er lange haften blieb.

„Darf ich mir einmal den Leichnam und das Zimmer genauer ansehen?“ fragte er leise den Kommissar.

„Gewiß – dazu habe ich Sie ja mitgenommen,“ erwiderte Richter.

„Aber Sie werden kaum etwas Wichtiges finden, Doktor. Behrent und ich haben bereits alles abgesucht – und Behrent hat für solche Sachen eine verdammt feine Spürnase, sage ich Ihnen; dem entgeht so leicht nichts – Messerstechereien, Totschlag, Mord – das ist so sein Spezialfach … Aber natürlich ist es Ihnen unbenommen, noch auf eigene Faust hier Ihr Licht leuchten zu lassen!“ Das klang spöttisch, wurde aber von Werres nur durch ein höhnisches Hochziehen des einen Mundwinkels beantwortet. „Ich will inzwischen,“ fuhr der Kommissar fort, „die drei Herren da mir vornehmen und mir die bisherigen etwas flüchtigen Angaben des Prokuristen vervollständigen lassen – es sind das der Prokurist und die beiden Kassierer der Bank. – Außerdem habe ich bereits nach der Staatsanwaltschaft telefonieren lassen und muß, wenn die Herren vom Gericht kommen, und das wird wohl sehr bald sein, einen einigermaßen übersichtlichen Bericht fertig haben. Na, jedenfalls viel Glück, Herr Doktor!“ – Damit ging er in das Nebenzimmer und bedeutete auch dem Kriminalbeamten Behrent[1] durch einen Wink, ihm zu folgen.


3. Kapitel.

Werres war mit dem Toten allein. Eine träumerische Stimmung, etwas wie Andacht vor der Allgewalt des Todes, war über ihn gekommen. Mechanisch zog er seinen Paletot aus und legte ihn und seinen Hut über die Lehne eines am Fenster stehenden Stuhles, nahm dann seinen Kneifer ab, putzte ihn sorgfältig mit seinem Taschentuche und drückte ihn wieder auf die Nase. Seine Augen wanderten prüfend im Zimmer umher. Es war, als wollte er sich das Bild des Raumes, die Stellung der Stühle, der Tische und die Lage des Leichnams genau einprägen. Vorsichtig kniete er nun neben dem Toten nieder und, auf den Knien weiter rutschend, musterte er aufmerksam diese erstarrten Züge, dann Zoll für Zoll den Anzug, bis ein größerer nicht allzu auffallender Fleck an dem dunklen Beinkleid seine Aufmerksamkeit längere Zeit in Anspruch nahm. Dieser Fleck war wohl nur aus nächster Nähe zu bemerken und sah aus, als ob den Stoff an dieser Stelle ein staubiger Gegenstand gestreift hatte. Werres beugte sich ganz tief herab und zog schließlich aus seiner Westentasche eine Lupe hervor, wie sie die Uhrmacher gewöhnlich bei ihrer subtilen Arbeit gebrauchen. Als er sich wieder aufrichtete, flimmerten seine Augen und um seine Lippen spielte ein eigenartiges Lächeln. Dann schien ihn wieder etwas in dem Gesichte des Toten aufmerksam zu machen; anscheinend gefühllos schaute er prüfend in das entstellte Antlitz und, als wollte er sich von der Richtigkeit eines in ihm aufgestiegenen Verdachtes überzeugen, bog er nun die Ecken des weißen Kragens zurück.

Inzwischen vernahm der Kriminalkommissar die drei Herren nebenan im Wartezimmer. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und vor sich ein Blatt Papier ausgebreitet, auf das er eifrig Notizen niederschrieb. Der Kriminalbeamte Behrent stand dabei und hörte zu; aber der Blick seiner kleinen, stechenden Augen kehrte immer wieder zu dem ihm gegenüber an der Wand hängenden Bilde zurück, das ihn mehr als diese sich fortwährend im Kreise bewegende Ausfragerei zu interessieren schien. Es war eine künstlerische Reproduktion von Böcklins bekanntem „Spiel der Wellen“[ws 1]. Behrent war so in das Anschauen des Bildes vertieft, daß er erschreckt herumfuhr, als sich plötzlich die Tür öffnete und drei Herren hereintraten, bei deren Anblick der Kommissar sofort aufsprang; es waren der Staatsanwalt, der Gerichtsarzt und ein Protokollführer. Der Kommissar erstattete dem Staatsanwalt kurz Bericht, dann gingen die Herren, voran der Staatsanwalt Hübner, in das Privatkontor. Werres, der gerade den großen Diplomatenschreibtisch und die darauf herumliegenden Papiere, das Schreibzeug und die wenigen Nippes untersucht hatte, war stehen geblieben und schaute nun den Eintretenden entgegen. Der Staatsanwalt, dem Werres fremd war, sah sich fragend nach dem Kommissar um und dieser beeilte sich, die Herren miteinander bekannt zu machen.

„Herr Staatsanwalt Hübner – Herr Doktor Raum – Herr Referendar Ulrich – das war der Protokollführer – Herr Doktor Werres, Hilfsarbeiter bei der Kriminalabteilung“ stellte er vor. Die Herren verbeugten sich, der Staatsanwalt sehr förmlich, beinahe hochmütig. Man gruppierte sich um die Leiche, und während der Arzt dem Toten Weste und Oberhemd öffnete und die Wunde mit einer Sonde untersuchte, teilte der Kommissar dem Staatsanwalt mit, was er bisher durch die Vernehmung der drei Angestellten in Erfahrung gebracht hatte, indem er dabei des öfteren seine Notizen zu Rate zog. Trotzdem Richter leise sprach, um von dem noch im Nebenzimmer sich aufhaltenden Prokuristen und den beiden Kassierern nicht gehört

  1. Vorlage: Berent

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Bild kann auf commons betrachtet werden.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)